Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
Aber er zieht erschrocken den Kopf zurück.
»Nein, ich darf es nicht tun. Mein Kuss ist
tödlich!«
Ziellinie
I ch bin viel zu verwirrt
gewesen, um die richtigen Fragen zu stellen. In der Tat hatte ich angenommen,
dass Kill und Erikson meinen Tod wollten. Nun ja, und beinahe wäre ich auch ertrunken,
wenn Kill mich nicht aus dem Wasser gezogen hätte.
Immer wieder rufe ich mir seine wunderschönen Augen
ins Gedächtnis. An seinen langen, seidigen Wimpern hingen winzige, schillernde
Wassertropfen, sie sahen aus wie Diamantsplitter oder Sternenfunken.
Kann ich meinem Verlangen auf Dauer widerstehen? Ich
kenne mich nur zu gut. Wenn er mich nicht zurückgehalten hätte, dann hätte ich ihn
geküsst. Woher weiß er, dass die Küsse eines Wolfers tödlich sind?
Vielleicht irrt er sich.
In mir regt sich ein winziger Funke Hoffnung.
Es gibt diese Gerüchte – angeblich wird manchmal
jemand einer von ihnen . Also muss es
doch Menschen geben, die den Kuss eines Wolfers überlebt haben.
Seit mindestens einer Stunde liege ich wach im
Bett und grübele. Die anderen Mädels schlafen noch tief und fest. Ich seufze, schiebe
einen Arm hinter den Nacken. Eine heiße Träne rinnt mir aus dem Augenwinkel.
Ich wische sie mit dem Zeigefinger ab und lecke daran. Salzig.
Eigentlich müsste ich wissen, was gut für mich ist:
Eine Zukunft als Pa:ris’ Ehefrau! Doch das bedeutet, ich sollte Kill nicht
wieder sehen.
Er ist ein
Wolfer!
Ein Jäger.
Ein
Todfeind.
Und vor
allem Gift!
Dieses brennende Verlangen zwischen uns beiden ist
ein unberechenbares Risiko. Meine ungezügelte Leidenschaft treibt mich dazu, ihm
zu nah zu kommen, Dinge zu tun, die ich nicht tun sollte, wenn mir mein Leben
lieb ist. Es ist purer Leichtsinn, was ich tue.
Genauso gut könnte ich ein Seil über eine Schlucht
spannen und freihändig hinüber balancieren. Selbst wenn die ersten Schritte
gelängen, ich würde nie die andere Seite erreichen. Irgendwann würde ich in den
Tod stürzen.
Aber ich will in Kills Nähe sein. Dann muss ich es
auch aushalten, dass wir uns nicht küssen dürfen.
Ich seufze und schmiege mich an mein Kopfkissen.
Er will mich
auch.
Das zu wissen, allein das verleiht mir ein Gefühl,
als könnte ich fliegen.
Ich werde ihn wiedersehen. Heute. Mein Magen
kribbelt vor Vorfreude und Aufregung. Wenigstens darf ich seine Hände berühren,
und ich muss vor ihm nicht verbergen, was ich empfinde.
Die Sirene, die das Ende der Schlafenszeit
ankündigt, dröhnt durch den Flur und das Licht im Zimmer geht an. Die Nacht ist
um. Während Becky sich noch die Augen reibt, springe ich aus dem Bett und stehe
heute als Erste unter der Dusche. Was für ein Luxus. Warmes Wasser regnet über
meinen Körper. Bei meinen Eltern war die Warmwasserpumpe defekt und niemand
konnte das reparieren.
Becky reißt den Duschvorhang beiseite und hebt
drohend die Faust.
»Wie kommst du dazu, vor mir zu duschen?«
»Heb deinen fetten Arsch schneller von der
Matratze, wenn du Erste sein willst!«, blaffe ich zurück. He, he, grinst mein wohlerzogenes Gewissen. Ihr Arsch ist wirklich fett und deshalb solltest du so etwas nicht
sagen. Ach, ja? Ich lasse die Seife auf den Wannenboden fallen und
überlasse Becky die Dusche.
»Fertig. Du kannst«, zische ich.
***
Die Felswand liegt dunkel und bedrohlich vor mir
und die vorstehenden Kanten sehen aus meiner Ameisenperspektive aus wie spitze
Krähenschnäbel, die drohend auf mich herabblicken.
Erikson steht breitbeinig vor mir und verschränkt
die Arme. »Sie haben nicht das Zeug zu
einer guten Offizierin – ich sehe es an Ihren Augen, und – glauben Sie mir –
ich kenne den Unterschied. Gute Gills haben …«, er kneift die Augen zusammen, »ich
nenne es mal so, sie haben eine gewisse Freude am Kämpfen, sie führen
widerspruchslos die Befehle aus und sie haben kein Mitgefühl mit dem Feind. Das
ist wichtig, denn jedes Zögern kann tödlich sein. Mein Job ist es, geeignete
Anwärter herauszufiltern, sie zu testen und für die Aufnahmeprüfung an der
Gill-Akademie vorzubereiten.«
»Verstehe.«
»Nein, Sie verstehen gar nichts.« Eriksons Augen
funkeln gefährlich. Ist es Wut, Enttäuschung oder ist es das Brennen für eine
Sache, an die er unumstößlich glaubt? Es ist mir unmöglich, das einzuschätzen.
Dazu müsste ich mehr von ihm wissen.
Er leckt sich über die trockenen Lippen. Dann
kneift er den Mund zusammen und mustert mich. Er scheint zu überlegen. »Sie
haben die eingesperrten
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