Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
hier nicht bleiben, ich muss
wissen, wo das nächste Pferdegespann auf mich wartet. Kurz erhebe ich mich und
spähe über die Halme, um mich zu orientieren.
Entsetzen packt mich. Ich bin weit von den anderen
Arbeitern abgedriftet und stecke mitten in einem riesigen Feld. Vor mir
rascheln die Halme, wiegen sich im Wind.
Ruhig
bleiben!, zwinge ich mich. In unmittelbarer Nähe kreisen keine Greifer.
Wenn ich es schaffe, im Schutz der hohen Ähren die Richtung zu halten, kann ich
es zurück zur Straße schaffen.
Weiter links von mir toben Kämpfe. Ich höre, dass Falkgreifer
gelandet sind und zwischen den Ähren Arbeiter und Gills aufspüren. Immer wieder
fallen Schüsse oder gellt ein Schrei auf.
Die Greifer sind klug genug, um zu verstummen,
sobald sie gelandet sind. Schlaue Biester.
Langsam entferne ich mich vom Lärm der Kämpfenden.
Vor mir raschelt es plötzlich. »Babette?«, flüstere ich leise. »Bist du das?«
Keine Antwort.
Vorsichtig biege ich die Ähren auseinander. Eine
Frau hockt am Boden. Sie blickt mich ängstlich an. In einem Tuch, das sie eng
an ihren Körper gewickelt hat, hockt ein kleines Mädchen. Es hat eingefallene
Wangen und blickt mich mit großen Augen an. Etwas hinter dem Rücken der Frau
raschelt und bewegt sich.
Da erst erkenne ich die eingezogenen Flügel.
Verdammt, sie ist ein Greifer-Weibchen. Warum habe ich das nicht gleich
gesehen? Ich unterdrücke das Bedürfnis zu Schreien und starre die beiden an.
Sie schüttelt sachte den Kopf und hebt ganz
langsam die Hand, legt eine Kralle an den Mund, so wie wir es mit dem
Zeigefinger machen, wenn wir zum Schweigen auffordern.
Ganz in unserer Nähe ruft plötzlich einer unserer
Männer. »Hat sich hier noch jemand versteckt?« Er schießt einmal in die Luft. »Mir
folgen! Wir treten den Rückzug an.«
»Ich. Hallo«, rufe ich und recke den Kopf kurz aus
den Ähren raus.
»Abmarsch!«, ruft der Gill und läuft mir entgegen.
Ich drehe den Kopf zum Greifer-Weibchen. Angstvoll
reißt sie die Augen auf und drückt die Klaue auf den Mund ihres schluchzenden Kindes.
Da begreife ich, dass sie hier sind, weil sie Hunger haben. Verdammt, erntet eure eigenen Felder!, möchte ich ihnen am liebsten zurufen. Aber wenn ich das tue, dann wird der Gill
sie bemerken und erschießen. Will ich das?
»Ist da noch jemand?« Seine Stimme ist plötzlich ganz
nah.
»Nein«, zische ich und laufe ihm, halb gebückt,
entgegen.
Er reckt den Kopf über meine Schulter, späht an
mir vorbei. »Manchmal versteckt sich ihre Brut zwischen unserem Getreide und
frisst uns die Ernte weg«, sagt er. »Kommen Sie! Es ist schon spät.«
Schatten der Nacht
M eine
erste Abenddämmerung außerhalb der tristen Stadt und ich habe keinen Blick
dafür übrig. Einerseits atmen wir erleichtert auf, denn die meisten Greifer
sind plötzlich verschwunden. Andererseits müssen wir uns beeilen, denn bald
bricht die Stunde der Wolfer an.
Scheinbar mit einem Ruck fällt die glutrote Sonne
hinter den Horizont. Im selben Moment verschwindet das leuchtende Grün der
Bäume. Zurück bleiben graue Silhouetten und flackernde, nachtschwarze Schatten.
Wind kommt auf und braust über die Stoppelfelder. Die Äste knarren und die
Blätter rascheln aufgeschreckt.
Vor uns startet der erste Pferdewagen und prescht
die Allee entlang.
Jetzt schnalzt auch unser Kutscher mit der Zunge
und brüllt: »Hüüja!«
Ein Ruck geht durch das Gespann. Unsere Pferde
trampeln bereits schäumend auf der Stelle, dann jagt auch unser Wagen ächzend
und knarzend über die holprigen Straßen.
Peitschen knallen.
Wir sind spät dran.
Zu spät.
Ich werde nicht rechtzeitig zurück sein. Der
Gedanke, ihn heute nicht zu sehen,
schnürt mir den Hals zu.
Mit lautem Rufen kontrollieren die Offiziere die
Anwesenden und haken die Listen ab. Die leichtsinnige Frau, die mitten über das
Stoppelfeld gelaufen ist, liegt schwerverletzt im Wagen vor mir. Außerdem soll
es einen der Gills brutal erwischt haben. Offenbar hatte sein Gewehr
Ladehemmung. Ein Falkgreifer hat den Moment genutzt und den Mann angegriffen.
Er liegt mit zerfetztem Gesicht im vordersten Wagen. Wie ein Lauffeuer jagen
die Geschichten über die Kämpfe von Kutsche zu Kutsche. Als endlich feststeht,
dass wir niemanden verloren haben, brechen wir in hysterisches Jubeln aus und
winken uns zu.
An einer Weggabelung werden wir langsamer, damit
die Deichsel nicht bricht.
Babette nutzt die Gelegenheit, springt leichtfüßig
von ihrem Wagen und läuft
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