Raylan (German Edition)
bereits gegen sie ermittelt.«
So einfach ließ sie sich nicht abspeisen. Sie sagte: »Aber wenn Sie nicht gewusst hätten, was sie im Schilde führte ...?«
»Mein Boss hat mich dasselbe gefragt. Er hat gesagt, wenn ich etwas mit ihr angefangen hätte, ohne zu wissen, welchen Hobbys sie nachging, würde ich jetzt ohne Nieren in der Gosse liegen.«
»Sie hatten also eigentlich vor, die Transplantationsschwester Layla zu verhaften, haben sie aber stattdessen erschossen.«
Raylan wartete. Das war keine Frage gewesen.
»Wie hat es sich angefühlt«, fragte Carol, »eine Frau zu erschießen? Anders?«
»Ich glaube, es ist egal, wen man erschießt, man gewöhnt sich sowieso nie daran. Frauen begehen aber in der Regel weniger Verbrechen, bei denen sie von Leuten im Polizeidienst erschossen werden könnten. Wir haben also weniger Gelegenheiten, Frauen zu erschießen.«
Sollte sie das erst mal verdauen.
Sie schien allerdings nichts daran merkwürdig zu finden und fragte: »Haben Sie bei Layla gezögert?«
»Hätte ich das, wäre ich tot.«
Das Thema Frauenerschießen schien abgehandelt, und sie fuhr fort: »Sie waren mal Bergmann.«
Als er darauf nichts sagte, fragte sie nach: »Oder stimmt das nicht?«
»Mein Boss hat mir befohlen, meinen Mund nur aufzumachen, wenn Sie mir eine Frage stellen. Ja, ich war in der Grube, wenn wir gerade nicht gestreikt haben.«
»Denken Sie immer noch wie ein Kumpel?«
»Ich habe nicht mehr dieselben Probleme, bin weder auf Arbeitssuche noch werde ich von meiner Firma herumgeschubst.«
»Ihre Haltung dem Unternehmen gegenüber hat sich nicht geändert.«
»Ich finde, die Arbeiter beschweren sich zu Recht. Wenn ein Bergmann einen Arbeitsunfall hat, muss er weiterschuften, weil er sonst gefeuert wird.«
Carol hielt Raylan mit erhobener Hand davon ab, weiterzusprechen, und sagte mit leiser Stimme: »Boyd, wo haben Sie die Colaflaschen hingetan?«
Raylan sah Boyd in den Spiegel schauen. »Von Ihnen aus gesehen auf der anderen Seite, bei Raylan.«
Carol sagte: »Schalten Sie die Gegensprechanlage ab.«
»Oh, wusste gar nicht, dass sie an ist.«
Zu Raylan sagte sie: »Er lügt, oder?«
»So ist er nun mal«, meinte Raylan. »Ich habe ihn wegen der Schüsse auf Otis Culpepper im Visier.«
Carol sagte: »Ihnen ist bekannt, dass ich auch da war.«
»Soweit ich weiß, haben Sie den Kollegen gesagt, dass Sie direkt vor dem Wohnwagen standen«, sagte Raylan, »als Otis mit seiner Flinte auf Sie geschossen hat.«
Carol nickte und strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Sie sagte: »Ich kam gerade heraus«, und lächelte. Sie ahnte bereits, was er erwidern würde, aber Raylan sprach es trotzdem aus.
»Da, wo Sie standen, hat kein einziges Schrotkügelchen das Wohnmobil getroffen. Wir konnten weder Kratzer noch Dellen finden.«
Sie sagte: »Dann hat er wohl sehr schlecht gezielt, oder?«
»Aus neun Metern Entfernung, während Boyd ihn bei diesem geringen Abstand durchlöchert hat ...?«
Carol sagte »Raylan«, und legte ihm die Hand aufs Knie. »Ihr Job ist es, mich zu beschützen. Sie ermitteln hier nicht in einem Fall, bei dem ich als Zeugin eine Rolle spiele, dazu habe ich überhaupt keine Zeit. Sie halten mir einfach nur den Rücken frei, ist das klar? Ich glaube nämlich, bei dieser Versammlung könnte es zu Handgreiflichkeiten kommen.«
Das Thema Otis war für sie abgehakt, sie sah jetzt aus dem Fenster. »Es ist so schön grün hier, die Bäume auf den Hügeln kommen ganz nah. Als wollten sie uns ganz umfangen.«
»Ziemlich bald schon«, sagte Raylan, »wird die Kammlinie endgültig kahl sein, aber die Menschen, die unten wohnen, werden nicht aufhören, deswegen zu protestieren. Die werden dann nämlich von Geröll und nackter Erde umfangen.«
»Seien Sie nett zu mir«, sagte Carol.
Boyd hörte die beiden nicht mehr, seit Carol ihn beim Lauschen erwischt hatte.
Fast während der gesamten Fahrt nach Cumberland auf der 119 beobachtete er im Rückspiegel, wie die beiden sich unterhielten. Er schaltete die Gegensprechanlage wieder ein – zur Hölle mit ihr – und sagte: »Falls Sie wollen, könnte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einige Sehenswürdigkeiten lenken.«
Carols Stimme kam zurück: »Nein, wollen wir nicht.«
Er überlegte, was er zum Besten gegeben hätte, wenn sie ihn gelassen hätte. In Lynch – wir kommen zwar nicht durch, aber es dürfte Sie trotzdem interessieren –, in Lynch also wohnten die farbigen Grubenarbeiter. Entschuldigung, die Amerikaner
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