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Raylan (German Edition)

Raylan (German Edition)

Titel: Raylan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmore Leonard
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Kohlekumpel«, sagte Raylan, »nur überlebt, um jetzt davon zu berichten?«
    »Warten Sie einfach meine Fragen ab«, sagte Carol.
    ***
    In der Turnhalle stand Carol von ihrem Stuhl neben dem vonCasper Mott auf, klopfte Casper auf die Schulter und ging zum Mikrofon, das auf seinem Ständer in der Mitte der beweglichen Bühne am hinteren Ende der Redskin-Halle wartete. Sie ließ ihren Blick über die Menge wandern, die auf dreihundert Klappstühlen Platz genommen hatte. Aus ihr ragten Schilder. Die Zahl der arbeitslosen Bergmänner in sauberen Hemden und schmutzigen Baseballkappen betrug im Verhältnis zu den Bergmännern mit Job drei zu eins, vielleicht sogar mehr, auch die Ehefrauen waren alle da, um sich zu Wort zu melden.
    Sie schaute nach rechts, wo Winona an ihrer Stenomaschine saß. Casper hatte Carol die Liste mit den Namen der Gerichtsschreiber vorgelesen. Als er bei Winonas Namen angekommen war, hatte er erwähnt, dass sie Raylans Ex war, und Carol hatte gesagt, engagier sie für die Versammlung, egal, wie viel sie will. Casper hatte gefragt, ob er die Kosten M-T auf die Rechnung setzen sollte, und Carol hatte geantwortet: »Klar.«
    Links von Carol, an einer Stelle, von der aus er, falls nötig, schnell auf die Bühne klettern konnte, stand Raylan. Als sie noch gesessen hatte, hatte Carol gesehen, wie er Winona angeblickt und versucht hatte, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ob ihm das gelungen war, konnte sie nicht sagen, dazu hätte sie sich umdrehen müssen.
    Hinter Raylan, am Rand der bestuhlten Fläche, redete Boyd mit hoher Geschwindigkeit auf ein Mädchen ein, das mit seinen hochhackigen Schuhen, dem auffälligen gelben Kleid und einem Ausschnitt, der gerade genug Einblick gewährte, zum Anbeißen aussah, wie Carol fand. Das musste die attraktive, aber noch blutjunge Ava sein, die ihren Ehemann – Boyds Bruder – während des Abendessens erschossen hatte. Boyd hatte erzählt, dass sie jetzt wie Bruder und Schwester zusammenlebten. Carol hatte ihn nach dem Warum gefragt.
    Er hatte geantwortet: »Wir wollen erst mal abwarten, ob wir einander genügend vertrauen, bevor wir uns verlieben und es ausprobieren.« Was auch immer das hieß.
    Carol hatte nicht nachgefragt.
    Jetzt nahm sie das Mikrofon vom Ständer und sagte: »Guten Tag. Ich bin Carol Conlan aus dem Vorstand von M-T Mining.«
    Buhrufe brandeten auf, sie hörte aber auch ein paar Pfiffe, die, so glaubte sie, nicht mit ihrem Job in Zusammenhang standen, und die Fragen prasselten nur so auf sie ein:
    »Wann übernimmt M-T endlich die Verantwortung und unterstützt uns?«
    »Wir werden schon entlassen, wenn wir nur einen Tag krank sind.«
    Carol sagte: »Mein Vater hat in West Virginia im Bergwerk gearbeitet. Ich bin in Kohlearbeitersiedlungen aufgewachsen und habe am eigenen Leib erfahren, wovon ihr sprecht.« Während sie redete, klang ihr Akzent zunehmend mehr nach West Virginia.
    Eine Stimme fragte aus der Menge heraus: »Und wie haben Sie’s rausgeschafft?«
    »Ich habe ein Stipendium fürs College bekommen, mir den Arsch abgearbeitet, Wirtschaft studiert und mich mit Angebot und Nachfrage und der Kohleindustrie beschäftigt. Anschließend habe ich einen Juraabschluss gemacht und eine Stelle bei der Firma bekommen, die auch euch Arbeit gibt.«
    Eine männliche Stimme rief: »Oben auf dem Berg gibt’s aber viel weniger Arbeit. Was bitte sollen wir Kumpel tun? Wir sitzen den ganzen Tag nur zu Hause rum.«
    Carol sagte: »Die Zeiten ändern sich, oder? Du fährst heute ein Auto und kein Maultiergespann mehr. Was tut der Schmiedheute, der sich früher um die Hufeisen deiner Mulis gekümmert hat? Er ist weg und arbeitet in irgendeinem anderen Job. Noch wird die meiste Kohle unter Tage gefördert, aber ihr wisst, das ändert sich. Immer mehr und mehr wird heutzutage oberirdisch abgebaut.«
    Aus der Menge: »Sie meinen, die Berge werden immer weiter geschändet.«
    Carol sagte: »Wir renaturieren die Berge anschließend.«
    Dieselbe Stimme fragte: »Sollen wir hundert Jahre warten, bis die Bäume wieder gewachsen sind? Dann sind wir längst tot.«
    Sie wollte schon etwas über zukünftige Generationen sagen, sparte sich das aber. Ein Mann in der ersten Reihe war aufgestanden. Er sagte: »Ich bin Hazen Culpepper, von drüben bei Mayfield. Ich würde gern wissen, warum einer von Ihren bewaffneten Gorillas meinen Bruder Otis erschossen hat, nur weil er ein paar Fenster kaputt gemacht hat.«
    Carol sprach mit deutlich weicherer Stimme weiter:

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