Raylan (German Edition)
gebe ja zu, ich hatte selbst vor, dich zu erschießen, wenn es sich ergeben hätte.«
»Boyd, du willst mir also sagen, dass du mich vorsätzlich umbringen wolltest?«, sagte Raylan. »Ich habe dich heute zusehen lassen, wir sind quitt, in Ordnung? Du musst jetzt irgendwie hier wegkommen, also pack The Kid und den anderen in ihren Lieferwagen und fahr sie nach Hause.«
Boyd sagte: »Raylan ...?«
»Wir haben uns für den Moment nichts mehr zu sagen«, sagte Raylan und nahm die Stufen hoch auf die Veranda. Er sah Pervis an. »Sollte Carol noch mal auftauchen, rufen Sie mich an, dann hetze ich ihr Marshals auf den Leib.«
»Die macht mir keine Angst«, sagte Pervis. »Ich habe doch Dewey, der mich beschützt.«
»Mit meinem Leben«, sagte Dewey.
Auch Rita war wieder zur Veranda gekommen. Sie sagte: »Ich habe Pervis schon gesagt, er soll sich schämen, dass Dewey warten muss, bis er stirbt. Was, wenn sich herausstellt, dass der Berg, auf den Dewey jahrelang gewartet hat, am Ende so gut wie nichts mehr wert ist, weil die Kohle längst ausgegraben wurde?«
Pervis sagte: »Ich habe mein Leben lang immer versucht, optimistisch zu bleiben.«
Dewey sah von einem zur anderen. »Aber alle sagen doch, dass er voller Kohle ist. Nicht?«
»Alle beten hier für Arbeit«, sagte Rita. »Und hoffen auf Jobs.« Sie sah Pervis an. »Ich finde es nicht besonders fair, dass du deinem einzigen Verwandten einen toten Berg vermachst.«
»Tja«, sagte Pervis, »ich könnte ihm auch ein Pfund von meinem Spitzengras geben, da hat er eine Zeit lang was davon.«
Rita nickte. »Zwei Pfund fände ich ein bisschen großzügiger. Zwei Pfund von Daddys Bestem. Damit kann Dewey dann glücklich werden, egal, ob er’s raucht oder verkauft.«
»Wie viel ist ein Pfund denn wert«, fragte Dewey, »wenn man’s auf der Straße verkauft?«
Raylan sagte zu Art Mullen: »Rita erzählt also Dewey, dass er den Preis für das Gras mit ein bisschen Glück auf zehntausend hochdrücken kann, immerhin sei es ja Pervis’ Topprodukt. Was für mich etwas unrealistisch klang, aber Deweys Augen leuchteten, und damit war alles geklärt.«
Sie waren in Art Mullens Büro in Harlan, auf dem Schreibtisch stapelten sich Papiere und Fahndungsplakate. Art sagte: »Eindreiundzwanzigjähriges Mädchen, Studentin im letzten Jahr an der Butler University, ist bei einer Razzia gegen ein Pokerspiel verhaftet worden.«
Raylan musste grinsen. »Die Bullen stürmen ein Studentenwohnheim und stoßen auf junge Leute, die um Streichhölzchen spielen?«
»Die Polizei in Indianapolis«, sagte Art, »ist bei einem Spiel um hohe Einsätze reingeplatzt, wo dieses Mädchen gerade zwanzigtausend Dollar verloren hatte. Sie haben das Mädchen mitgenommen und die Anklagepunkte gegen sie ins Polizeiregister eingetragen. Sie sollte die Nacht im Gefängnis verbringen und am Morgen vor Gericht erscheinen.«
»Wo hatte sie denn zwanzigtausend Dollar her?«
Art sagte: »Ach, hörst du mir also endlich zu? Sie hat das Geld gewonnen, als sie bei der Collegemeisterschaft gewettet hat, Basketball, Duke gegen Butler. Ihr Vater Reno – eigentlich ihr Stiefvater – betreibt ein Wettbüro in Indianapolis. Hat sein Töchterchen mit Poker und Sportwetten aufgezogen.«
»Erst das ganze Geld verloren«, sagte Raylan, »und dann noch im Gefängnis gelandet – war wohl nicht ihr Abend, was? Musste sie auch noch Strafe zahlen?«
»Sie ist abgehauen«, sagte Art. »Ist einfach aus der Wache marschiert und hat sich bei der Anhörung nicht blicken lassen.«
»Du erzählst mir das alles doch nicht grundlos, oder?«
»Wir haben erfahren«, sagte Art, »dass dieses Mädchen, Rachel, eine der besten Studentinnen an ihrer Uni, jetzt Banken in Kentucky ausraubt und somit in unseren Zuständigkeitsbereich geraten ist. Sie und zwei weitere junge Damen. Vermutlich sind sie bei ihren Überfällen bekifft, so wie sie den Berichten zufolge immer grinsen. Drei Mädchen übertreiben es mit den Drogen und rauben Banken aus. Die Polizei in Indianapolis hat sich die Bilder der Überwachungskameras angesehen und glaubt, dass Rachel eine von ihnen ist.«
»Sind sie sicher«, fragte Raylan, »oder hoffen sie das nur, weil Rachel ihnen weggelaufen ist?«
»Wieso fährst du nicht einfach hoch und bringst genau das in Erfahrung?«, sagte Art. »Du arbeitest wieder vom Büro in Lexington aus. Du sammelst das Mädchen ein, nichts weiter, und hältst uns die Cops aus Indianapolis vom Leib.«
»Wie heißt sie?
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