Readwulf
sofort wieder weg. »Woher kennt ihr euch?«
»Cloé ist meine Cousine.«
Nie im Leben! Die Wahrheit würde mir jetzt bestimmt keiner von beiden sagen, daher entschied ich, mir Cloé später zu schnappen und sie auszuquetschen, bis ich eine vernünftigere Erklärung bekäme. Ich kochte innerlich, denn die Situation stank bis zum Himmel. Das konnte kein Zufall sein.
»Na, dann will ich mal nicht weiter stören.« Ich verließ auf dem Absatz wendend die Küche und stürmte wütend zurück in mein Zimmer. Ich bekam es gerade noch hin, die Tür nicht komplett zufliegen zu lassen, und warf mich vorwärts wieder aufs Bett. Den Kopf in ein Kissen gepresst schimpfte ich los: »Was bildet der sich ein? Wie dreist muss man sein, auch noch in meine Wohnung zu kommen? So ein arroganter Schnösel. Zum Kotzen diese aufgesetzte Art!«
Ich war wahnsinnig geladen, und diese belämmerte Kuh Cloé macht da auch noch mit. Bestimmt hatten die Zwei sich schon ausführlich über mich lustig gemacht. War das jetzt Verfolgungswahn?
Wie soll man da nicht schizophren werden? Verdammt!
Ich verstand erneut gar nichts mehr und im selben Moment schoss mir wieder einmal Wasser in die Augen, diesmal jedoch aus purer Wut. Am liebsten hätte ich losgeschrien, auch vor lauter Ärger über mich selbst. Ich hatte es nicht besser verdient, wie konnte ich nur so naiv sein. Ich kannte sie erst ein paar Wochen und weiß eigentlich nichts von ihr.
Ich bin so blöd, dass es nervt.
Bisher hatte ich nicht mal mit Nathan oder Tess über meine Vergangenheit gesprochen. Die beiden kannte ich ebenfalls erst ein dreiviertel Jahr. Sie standen mir inzwischen viel näher und doch vergaß ich meine Vorsicht bei ihnen nie.
Ausgerechnet Cloé! Aber das war gar nicht der Auslöser für meine extreme Wut. Wohl eher die Tatsache, dass ich ihr fast alles über mich und meine unnatürliche Gabe, oder besser, meinen Fluch anvertraut hätte. Sie brachte mich fast so weit, wirklich ALLES auszuplaudern und jetzt schoss mir nur noch durch den Kopf: Vorsicht ist besser, als Nachsicht. Leider bestätigte mich diese traurige Tatsache wieder mal darin, allein auf dieser Welt zu sein.
Ich zog mir schnell die alten Joggingsachen über und beeilte mich, aus der auf einmal viel zu engen Wohnung herauszukommen.
»Wohin willst du jetzt?«, rief Cloé.
»In den Wald Laufen«, zischte ich in die Küche.
Ich rannte einen Marathon in weniger als einer Dreiviertelstunde, bevor ich wieder klar denken konnte. So viel Wut hatte ich schon lange nicht mehr und schon gar nicht auf mich selbst. Und jetzt, mit etwas Abstand betrachtet, fand ich meinen übertriebenen Abgang peinlich.
***
Sein Auto stoppte abrupt und er zog sein Handy aus der Jackentasche. Er wählte eilig eine Nummer und am anderen Ende der Leitung meldete sich nach zweimaligem Klingeln eine helle Frauenstimme: » Winter. Hallo?«
»Cloé wir müssen uns treffen. Unbedingt!«
»Bist du in London? Was ist passiert?«
»Sie kann … Sie hat … Wie soll ich dir das jetzt so schnell erklären? Sie ist wie ich!«
»Wer?«
»Juliette Pickering!«
»Es war einen Moment still in der Leitung, bevor sie antwortete: »Bei mir. Morgen Nachmittag gegen drei Uhr ist sie an der Uni, aber das weißt du sicherlich bereits, oder?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wurde das Gespräch von ihr abgebrochen.
In dieser Nacht lag er stundenlang wach und versuchte, das für ihn Unfassbare richtig einzuordnen. Darius hatte ihn aufgezogen und ihm erklärt, er sei ein Findelkind, das eines Tages ohne jede Nachricht auf den Stufen vor dem Kloster lag. Niemand wusste, wer ihn dort abgelegt hatte, und folglich konnte sich auch keiner der Ordensbrüder erklären, womit seine Andersartigkeit zu erklären war. Seine Fähigkeiten hielt man im Kloster für eine Gottesgabe. Die Brüder sahen in ihm einen neuen Messias, dessen Geheimnis man für alle Zeiten bewahren müsste. Wenn er also der Auserwählte war, wer war dann sie?
Am nächsten Tag schellte er wie vereinbart um drei Uhr und Cloé öffnete die Wohnungstür. Readwulf kam eilig die Treppe hinauf und umarmte sie.
»Es ist schön, dich zu sehen, auch wenn die Umstände weniger erfreulich sind.«
»Du musst mir alles haarklein erzählen«
Er nickte bestätigend und setzte sich an den Küchentisch. Er schilderte seine Erlebnisse der letzten Nacht. Dann fragte er: »Wenn es noch jemanden wie mich gibt und dein Onkel mich genau auf diese Person angesetzt hat, weiß er dann auch von ihren
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