Readwulf
Richards nach kurzer Begutachtung des Halses nichts, was auf die Todesursache schließen lies.
»Vergiftung könnte durchaus möglich sein, Miss Pickering« Er began alle Organe wieder an ihren vorgesehen Platz einzusetzen.
Dann vernähte er Brust- und Bauchhöhle äußerst professionell. Die Naht, um den Kopf, verschwand sogar fast ganz unter den brünetten langen Haaren der Toten.
»Plötzlicher Atemstillstand, bisher ungeklärter Todesursache!«, sprach er in das Diktiergerät und schaltete es aus.
»Jetzt muss der Leichnam noch gereinigt werden. Sie übernehmen das bitte«, wies er mich an, nahm sich die Gewebeproben und verschwand durch die Schwingtür.
Ich nahm den gelben Schwamm vom Serviertisch und hielt das ziegelsteingroße Weichteil unter den Wasserstrahl des Spülbeckens, das sich an der Wand neben den Gummischürzen befand.
Das tote Fleisch anzufassen und zu waschen bereitete mir wenig Mühe. Ich war eher von der Kühle der Haut überrascht, sie fühlte sich ledern an. Als ich ihr den Hals wusch, betrachtete ich neugierig die frische Narbe. Am Haaransatz direkt hinter ihrem rechten Ohr fiel mir überraschend ein roter Punkt ins Auge. Er sah wie ein Nadeleinstich aus. Perfekt ist anders, Herr Doktor! , dachte ich mokant und beendete mein Werk, indem ich ihr das Haar mit der Bürste etwas richtete.
Dr. Nail betrat den Saal. Seine Augen überflogen die Leiche und blieben an ihrem Brustbein hängen: »Das haben sie gut gemacht«, sagte er und wirkte dennoch herablassend dabei. Mich ärgerte dieser Unterton nicht. Im Gegenteil, ich war in diesem Moment stolz auf mich: »Vielen Dank für ihr Vertrauen, Dr. Nail.«
»Kommen sie, ich möchte sie noch etwas herumführen.«
Nachdem ich also auch noch die restlichen Räumlichkeiten genauestens erklärt bekam, war ich für diesen Tag entlassen: »Morgen gegen 22 Uhr, laut Dienstplan!«
Ach dieser Kommentar war so überflüssig wie aufgesetzt freundlich.
»Ja, mit Dr. Sharma!«, bestätigte ich, bevor noch mehr dieser unnötigen Machtspielchen folgten. Den Dienstplan konnte ich schließlich auch ohne nähere Erläuterungen lesen und verstehen.
Auf dem Heimweg sinnierte ich, welche Todesursache bei der Laboranalyse nun herauskommen würde. Mich faszinierte es, dass man nicht erkennen konnte, woran sie gestorben war. Vielleicht gestaltete sich der Job im Labor doch nicht so langweilig, wie ich zunächst angenommen hatte. Wenn einige Morde nur so aufgeklärt werden konnten, versprach es spannend zu werden.
Da ich die Wohnung an diesem Abend für mich allein hatte, machte ich einen kleinen Einkaufsabstecher.
Chips, Schokolade und eine DVD waren kein Großeinkauf, aber völlig ausreichend für mein Entspannungsprogramm.
Daheim angekommen rein in die Sportklamotten und ab ins nahegelegene Wäldchen.
Mhm: Bäume, Gras und frische Luft! Das war Teil eins des Dreistufenplans. Eine Stunde Verausgabung später folgte Teil zwei: Ein Schaumbad mit Waldkräuteraroma, Kerzen und der Sound der Celtic Woman. Wieso ich den so gern mochte, konnte ich nicht sagen, es klang einfach sehr entspannend und beruhigend für meine sonst so beanspruchten Ohren. Nach der zweistündigen Badezimmerorgie mit Beautyprogramm, bestehend aus Enthaarung, Peeling, Gesichtsmaske, Ganzkörpercremung und Haupthaarkur, kam ich mir wie neugeboren vor. Rein in den Pyjama und ab auf die Couch. Richtig gut tat das, so lümmelnd auf dem Sofa zu sitzen und die Liebesschnulze zu schauen. Nach ungefähr der Hälfte des nicht all zu tiefgründigen Films fielen mir die Augen zu.
Ich träumte wieder vom Tannenwald, fühlte mich noch wohler als jemals zuvor und mochte die Phantasie von Readwulf. Zugegeben, ich konnte seine arrogante Art nicht ausstehen, aber anziehend und gutaussehend fand ich ihn schon. Ein bisschen, vielleicht. Diesmal küsste er mich nicht. Er blieb nur dicht bei mir wie ein riesiger Schatten. Es war ein behüteter Schlaf, bis Wolken den Traumhimmel verdunkelten, ein Sturm aufzog und die Bäume krachend und ächzend den Urgewalten nachgaben. Nur meine Lichtung erhellte noch ein Kegelschein Sonnenlicht, ich rannte auf ihn zu, um Schutz zu suchen. Das nackte Entsetzen fuhr mir in die Glieder. Das Gras war verdorrt, übereinander gestapelte Frauenleichen lagen herum. Ganz obenauf lag Gracy, die Tote aus dem Club. Sie schlug ihre kalten toten Augen auf und versuchte mit ausgestreckten Armen nach mir greifen, um mich heran zu ziehen. Dabei wurden ihre Arme länger und länger. Ich konnte
Weitere Kostenlose Bücher