Readwulf
nur ein Witz. Nirgends wird mehr gelacht, als in der Pathologie. Irgendwie muss man diesen Job überstehen.«
Es gefiel ihm scheinbar, ab und zu mal seine Überlegenheit zu demonstrieren. Damit kam ich zurecht. Ich hatte ja Harry, der meine ganze Kindheit hindurch so mit mir umgegangen war. Mein Fell war bereits recht dick. Also antwortete ich nur kurz mit einem ernsten Nicken. Das hatte Harry immer ausgebremst, mich weiter aus der Reserve locken zu wollen.
Wie ich jetzt feststellte, funktionierte diese neutrale Haltung auch bei Dr. Nail. Er wurde unvermittelt sachlich und erklärte mir im Anschluss, dass ich fürs erste Dr. Richards, einem der Forensiker, unterstellt werden würde. Im Anschluss erhielt ich einen Ordner mit dem Regelwerk und den Ausbildungsstationen in die Hand.
»Bitte studieren sie diese Unterlagen genaustens, das wird ihnen helfen, sich hier besser zurecht zu finden!«
»Vielen Dank.«
Dr. Richards kam auf uns zu, ihn hatte ich zuvor erst ein Mal gesehen. Er saß bei meiner Semesterarbeitspräsentation in der zweiten Reihe des Hörsaals. Vermutlich sollte er mir jetzt genauer auf den Zahn fühlen und schauen, ob ich tatsächlich geeignet bin für diesen Beruf.
Die beiden eher schlaksig wirkenden Männer dachten bestimmt, mit Obduktionen in der Nacht würden sie meine Schale sofort knacken. Sie wussten nicht, dass mir der Geruch von Leichen und der Gestank von Verwesung eher angenehm waren: Die werden sich noch wundern!
Egal, professionell, wie ich nun mal war, ließ ich die weitere Einführung über mich ergehen. Dr. Richards richtete sein Wort an mich: »Miss Pickering, würden sie mich bitte begleiten und ihren Kittel überziehen, wir beginnen gleich mit einer Leichenöffnung. Heute Nacht haben wir einen weiteren Leichnam eingeliefert bekommen.« Wieder nickte ich nur karg und folgte ihm ohne zu zögern. Im Sektionssaal standen drei Seziertische in einer Reihe nebeneinander. Seitlich stand neben jeden Tisch ein Schiebewagen mit Sezierbesteck. Über den drei Tischen hingen große Lampen, die man im Winkel und in der Höhe verstellen konnte, was mich an einen Operationsraum erinnerte. Die Atmosphäre war in jeder Hinsicht steril, als Dr. Richards die frische Leiche aus dem Kühlraum holte und mit einem Kollegen auf den mittleren Tisch hob.
»Die Voruntersuchungen haben wir bereits gestern Nacht erledigt. Jetzt werden wir in die Tiefe gehen«, erklärte er bedächtig.
Zuerst schaltete er das mit Plastik umhüllte Diktiergerät ein, das links neben der großen Lampe hing. Während der kompletten Prozedur lief dieses Gerät zu Dokumentationszwecken mit.
Dann enthüllte er die fahle Frauenleiche. Sie war nackt. Ohne es zu wollen studierte ich den Leichnam auf blaue Flecken oder andere Hautveränderungen. Dr. Richards fotografierte die Tote von allen Seiten, einzelne Partien sogar mehrfach und aus der Nähe. Ich stand noch immer am Fußende des Tisches.
»Ich werde jetzt den Schädel öffnen. Nehmen sie sich bitte eine Gummischütze und Schutzbrille vom Haken.« Er wies mit dem Kinn zur Wand rechts neben sich. Ich folgte seiner Anweisung. Bevor ich zugreifen konnte, forderte er unterstützt von schnellen Handbewegungen: »Kommen sie doch näher!«
»Sehr gern.« Ich war neugierig.
Das Geräusch und der Umgang mit der Schädelsäge passten eher zu einer Handwerkslehre als zu einem medizinischen Eingriff. Die Entfernung des Gehirns empfand ich als nicht weiter schlimm. Dr. Richards wog die Masse und entnahm eine kleine Probe für das Labor. Das Aufhebeln des Brustbeins und der angrenzenden Rippen trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Als die Öffnung groß genug war, hob er sorgsam alle Organe einzeln aus der Körperhöhle, wog sie und entfernte sämtlichen Innereien eine Gewebeprobe. Bis hierhin war für mich alles in Ordnung, doch der Gestank der Darmflüssigkeit, oder was auch immer das war, was Dr. Richards in einem Glasbehälter abfüllte, ließ mich kurz würgen. Er schien ähnlich vom Ekel erfasst zu sein. Seine Mundwinkel verzogen sich leicht nach unten, die blauen Augen wurden eisig.
»Bisher kann ich keine eindeutige Todesursache feststellen«, warf er ein. »Sie war kerngesund, nicht einmal Raucherin. Leber, Lunge, Herz sieht alles wunderbar aus. Ein Fall für unser Labor!«
»Denken sie an Vergiftung?«
Er schaute auf und sein Blick weitete sich wieder: »Nicht so eilig junge Dame, den Halsbereich müssen wir uns noch genauer anschauen.«
Aber auch hier entdeckte Dr.
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