Readwulf
angeschlagen Fuß reibend, verlor ich vor Schmerzen das Gleichgewicht und sank unsanft zu Boden. Meine Fassung war dahin, aber wenigstens spürte ich wieder etwas in meinen angefrorenen Zehen.
Ich weinte und gab mich meinem Selbstmitleid ausgiebig hin. Das war einer dieser Momente, in denen man ganz nahe dran ist, sich selbst aufzugeben.
Meine Gedanken zogen wirre Kreise. Grotesk, was mir dabei als völlig unwichtig erschien. Eigentlich war das einzige, was ich noch einmal sehen wollte Readwulfs Gesicht. Das einzige, was ich noch einmal hören wollte, war seine sanften dunklen Stimme: »Mein Herz«. Und einen Kuss. Ein zärtlichen nie endenden Kuss, das war alles, was mir etwas zu bedeuten schien. Wir hatten nur eine Nacht und ein paar flüchtige Momente und doch bestimmte er meine vermutlich letzten klaren Gedanken.
»Nein. Nicht so«, fluchte ich und damit kehrte ein wenig Kampfgeist in mir zurück.
Ich musste wohl bereits einige Stunden in diesem Gefängnis sitzen, denn langsam dämmerte es draußen. Eine Uhr hatte ich nicht dabei. Ich trug so gut wie nie Schmuck und hasste die Vorstellung, etwas permanent am Arm herumtragen zu müssen.
»Irgendwann wird mich schon jemand finden«, beruhigte ich mich.
»Ja klar, tiefgefroren.« Dieser Scharfsinn half natürlich wenig, aber ein Schmunzeln, über meine Selbstironie, huschte über mein Gesicht.
»Ein erste Anflug von langsam beginnendem Wahnsinn«, sinnierte ich weiter. Mir war bitterkalt. Mein Körper zitterte immer extremer. Ich war mir sicher, dass meine Zähne das seit Stunden andauernde Geklapper nicht heil überstehen würden. Meine Kräfte ließen deutlich nach und Müdigkeit überkam mich.
»Schlaf nicht ein. Nur nicht einschlafen. Nicht einschla ...« Ich vermute, das `fen´ träumte ich an dieser Stelle bereits.
***
Etwas kitzelte seine Nase, als ihn die ersten Sonnenstrahlen im Morgengrauen weckten. Juliette lag noch immer eingekuschelt in seinen Armen und der Duft ihres golden schimmernden Haares raubte ihm jeglichen Verstand. Vorsichtig strich er sich die Lockenpracht aus dem Gesicht. Aufwecken wollte er sie nicht, zu friedlich war dieser Anblick. Er hatte fast den Eindruck, dass um ihren Mund herum ein verträumtes Lächeln lag. Sie musste nicht die Augen öffnen, um ihn in ihren Bahn zu ziehen.
Ihre samtene Haut an seiner Brust zu spüren, erregte ihn. Zu lange war es her, dass er überhaupt Zweisamkeit mit einer Frau genossen hatte. Diese Intensität, ganz ohne das man sich körperlich nahekommen wäre, war neu. Readwulf konnte sich in diesem Moment nicht vorstellen, seine Gefühle für diese Frau noch steigern zu können.
Behutsam nahm er eine Locke zwischen die Finger und saugte ihren Geruch förmlich in sich auf. Dass er überhaupt in solch hohem Maße empfinden konnte, überwältigte ihn.
»Das muss reichen für den halben Tag«, flüsterte er lächelnd, dann entzog er sich geschickt ihrer Umklammerung und verließ geräuschlos das Nachtlager.
In der Küche fand er Papier und Stift. Er brachte es nicht fertig, sich ohne ein Wort davon zu stehlen.
Die Mitteilung und ein stibitztes Rosenblatt legte er ihr neben das Kopfkissen und wieder verharrte er, einige Sekunden länger als nötig, bei ihrem süßen Anblick.
»Schön locker bleiben Junge«, ermahnte er sich und verließ augenblicklich die Wohnung.
Eilig stieg er in seinen Jaguar und startete den Motor. Readwulf musste einiges erledigen, doch beim Blick in den Rückspiegel entschied er: »Ab ins Hotel, duschen und dann einen starken Kaffee … vorher geht hier gar nichts.«
Er wartete schon seit zwei Tagen auf eine Mail von Darron, der wie er in Darius Diensten stand. Fünf Jahre und ihre gemeinsame Vorliebe für Single Malt zogen ein freundschaftliches Verhältnis nach sich. Darron wollte für Read in Juliettes undurchsichtiger Vergangenheit forschen: Woher kam sie genau? Wer waren ihre leiblichen Eltern? Wo und wie ist sie aufgewachsen? Ach einfach alles an Fakten, was herauszufinden war.
Obwohl Readwulf sich nicht viel Erfolg in der Angelegenheit versprach, war er angespannt und wartete ungeduldig auf den Bericht seines Freundes. Der Laptop wurde noch vor dem Duschgang in Betrieb genommen. Noch immer keine Nachricht, dafür aber dutzende an Spammails.
Genervt zog sich Readwulf die Klamotten vom Körper und ließ sie unachtsam zu Boden fallen. Seine Gedanken hafteten an Juliette. Der letzte Abend lief noch einmal Bruchstückhaft in seiner Erinnerung ab. Es tat ihm jetzt
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