Rebecca
Gras und die Köpfe der Gänseblümchen stoben hinter den sich drehenden Messern hervor. Der süße warme Grasgeruch zog zu mir herüber, und die Sonne schien jetzt heiß auf mich hernieder. Ich pfiff Jasper, aber er kam nicht.
Vielleicht war er Maxim zum Strand hinunter gefolgt. Und da begriff ich erst, daß Maxim nicht fortgegangen war, wie ich befürchtet hatte.
Die Stimme, die ich auf der Terrasse gehört hatte, war ruhig und bestimmt gewesen, die Stimme, die ich kannte.
Nicht die Stimme von gestern abend, als ich auf der Treppe stand. Maxim war nicht fortgegangen. Er befand sich jetzt da unten irgendwo in der Bucht. Er war wieder ganz der alte, gelassen und beherrscht. Er war nur spazierengegangen, wie Frank angenommen hatte.
Er war auf der Landzunge gewesen und hatte von da aus das Schiff bemerkt. Meine Ängste waren grundlos. Ich brauchte mir um Maxim keine Sorgen zu machen. Was ich empfunden hatte, war unwürdig, scheußlich und wahnsinnig gewesen, etwas, was ich auch jetzt noch nicht richtig verstehen konnte, woran ich nicht mehr denken wollte; was ich auf immer tief in den schattigen Winkeln meines Unterbewußtseins vergraben wollte, wo auch die Schrecken meiner Kindheit ruhten. Dies alles war jetzt unwichtig geworden, weil ich Maxim in Sicherheit wußte.
Dann ging ich den steilen, gekrümmten Pfad durch den finsteren Wald zur Bucht hinunter.
Der Nebel hatte sich fast ganz aufgelöst, und als ich am Strand ankam, erblickte ich sogleich das Schiff, das etwa zwei Meilen entfernt mit dem Bug auf dem Riff aufsaß.
Ich schritt über die Mole und lehnte mich am äußersten Ende gegen die steinerne Brüstung.
Auf den Felsen wimmelte es bereits von Menschen, die längs der Küste von Kerrith herübergekommen sein mußten. Die Felsen und die Landzunge gehörten zu Manderley, aber der Weg am Meer entlang war seit jeher der öffentlichen Benutzung freigegeben. Einige kletterten die Felsen bis zum Wasser-spiegel hinab, um das gestrandete Schiff besser sehen zu können. Es hatte schon schwere Schlagseite; das Heck lag tief im Wasser, und eine Anzahl Ruderboote umkreisten es. Das Rettungsboot war ebenfalls draußen. Ich konnte eine Gestalt darin stehen sehen, die etwas durch ein Megaphon rief. Dort draußen hielt sich der Nebel noch, und ich konnte den Horizont nicht erkennen. Ein Motorboot kam aus dem Nebel ins Licht. Einer von den Insassen trug eine Uniform. Das mußte der Hafenmeister von Kerrith sein, und der Mann neben ihm war wohl ein Vertreter von Lloyd. Ein zweites Motorboot folgte mit einem Schub Feriengästen aus Kerrith. Sie fuhren ganz nahe an das gestrandete Schiff heran, und ich hörte ihre aufgeregten Stimmen über das ruhige Wasser hallen.
Ich verließ die Mole und kletterte über die Klippen dorthin, wo die anderen Menschen standen. Maxim konnte ich nirgends sehen, aber Frank war da und sprach mit einem der Männer von der Küstenwache. Ich traute mich zuerst nicht, zu ihm hinzugehen. Ich fühlte mich plötzlich verlegen. Vor kaum einer Stunde hatte ich ihm am Telephon etwas vorgeweint und wußte jetzt nicht, wie ich mich verhalten sollte. Er erblickte mich und winkte mir zu. Ich trat zu ihm.
«Wollen Sie sich auch das Theater ansehen, Mrs. de Winter?» fragte der Küstenwächter, der mich kannte, lächelnd. «Ich fürchte, das wird noch ein schweres Stück Arbeit geben.
Möglich, daß die Schlepper es loskriegen, aber ich bezweifle es. Das Schiff ist mit voller Fahrt aufgelaufen und sitzt jetzt eisern fest.»
«Was wird man denn tun?»
«Es wird gleich ein Taucher hinuntersteigen, um nachzusehen, ob der Kiel durchgebrochen ist», antwortete er.
«Da, der Mann mit der roten Mütze. Wollen Sie mal durchs Glas sehen?»
Ich nahm seinen Feldstecher und stellte ihn auf das Schiff ein. Eine kleine Gruppe Männer stand am Heck über die Reling gebeugt. Einer von ihnen zeigte auf etwas.
Der Mann im Rettungsboot rief immer noch durch das Megaphon.
Der Hafenmeister von Kerrith gesellte sich zu den Männern am Heck. Der Taucher mit der roten Mütze saß in dem grauen Motorboot der Hafenmeisterei.
Das Ausflüglerboot lag jetzt mit abgestelltem Motor vor dem Schiff, und eine von den Frauen photographierte. Ein Möwenschwarm hatte sich auf dem Wasser niedergelassen und schrie hungrig in der Hoffnung auf Abfälle.
Ich reichte dem Küstenwächter das Glas zurück. «Es scheint nichts zu passieren», sagte ich.
«Sie werden den Taucher gleich hinunterlassen», sagte der Küstenwächter. «Die reden
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