Rebecca
merkwürdige hagere Gestalt in ihrem schwarzen Kleid, dessen Rock den Boden fegte wie die Röcke, die man vor dreißig Jahren trug. Dann bog sie um eine Ecke und war verschwunden.
Ich ging langsam zur Galerie, so verwirrt, als sei ich eben erst aus einem langen Schlaf erwacht. Ich ging die Treppen hinunter, ohne zu wissen, was ich unten tun sollte. Frith durchquerte gerade die Halle auf dem Weg zum Eßzimmer. Als er mich sah, blieb er stehen und wartete, bis ich unten war.
«Mr. de Winter war vor ein paar Augenblicken noch hier, Madam», sagte er. «Er holte nur ein paar Zigaretten und ging wieder zum Strand zurück. Ein Schiff soll dort aufgelaufen sein.»
«Ja», sagte ich.
«Haben Sie die Raketen gehört, Madam?»
«Ja», sagte ich.
«Das mit dem Schiff ist ja aber auch kein Wunder bei diesem Nebel, Madam. Das habe ich auch gerade zu Robert gesagt. Es ist schon schwer genug, sich auf dem festen Lande zurechtzufinden, wieviel schwieriger muß es dann erst auf dem Wasser sein.»
«Ja», sagte ich.
«Wenn Sie Mr. de Winter noch einholen wollen, er ist vielleicht vor fünf Minuten gegangen.»
«Ja, danke Frith», sagte ich.
Ich ging auf die Terrasse hinaus. Die Bäume jenseits der Rasenfläche begannen bereits wieder Gestalt anzunehmen.
Der Nebel lichtete sich, er stieg in kleinen Wolken zum Himmel, und um meinen Kopf dampfte und wirbelte es.
Ich blickte zu den Fenstern im Westflügel empor. Sie waren alle fest geschlossen und sahen so aus, als ob sie sich nie mehr öffnen würden.
An jenem großen Fenster in der Mitte hatte ich vor wenigen Minuten gestanden. Wie hoch es lag, von hier aus gesehen, wie tot und unpersönlich es jetzt wirkte. Die Steinplatten unter meinen Füßen fühlten sich hart und fest an. Ich blickte auf den Boden und dann wieder hinauf zum Fenster, und plötzlich begann sich alles vor meinen Augen zu drehen, und mir wurde ganz heiß. Der Schweiß lief mir von der Stirn. Vor meinen Augen tanzten schwarze Flecken. Ich ging wieder in die Halle und ließ mich in einen Sessel fallen. Meine Hände waren feucht. Ich saß ganz still und hielt meine Knie umklammert.
«Frith», rief ich. «Frith, sind Sie noch im Eßzimmer?»
«Ja, Madam?» Er kam sogleich herbeigeeilt und lief auf mich zu.
«Frith, ich würde gern ein Glas Cognac haben.»
«Gewiß, Madam.»
Ich blieb regungslos sitzen, bis er mit dem Cognac auf einem Silbertablett zurückkehrte.
«Fühlen Sie sich nicht wohl, Madam?» fragte Frith. «Soll ich Clarice rufen?»
«Nein, danke, Frith, mir wird gleich besser sein», antwortete ich, «die Hitze ist mir vielleicht etwas zuviel geworden.»
«Ja, es ist sehr heiß, Madam, wirklich sehr heiß, fast schwül, möchte ich sagen.»
«Ja, Frith, richtig schwül.»
Ich trank den Cognac aus und stellte das Glas auf das Tablett zurück.
«Vielleicht hat Sie der Knall der Raketen erschreckt», meinte Frith. «Es kam so plötzlich.»
«Ja, das stimmt», sagte ich.
«Und vielleicht hat Sie auch der heiße Morgen nach dem langen Stehen gestern abend etwas angestrengt, Madam.»
«Ja, das ist möglich», sagte ich.
«Wollen Sie sich nicht eine halbe Stunde hinlegen? In der Bibliothek ist es ganz kühl.»
«Nein, nein, ich werde gleich wieder hinausgehen. Es ist schon gut, Frith.»
«Sehr wohl, Madam.»
Er ging und ließ mich allein in der Halle. Es war angenehm ruhig und kühl dort. Nichts erinnerte mehr an das Kostümfest; als ob der Ball gar nicht stattgefunden hätte.
Die Halle sah genauso grau und streng aus wie immer, mit den Stichen und den Waffen an der Wand. Ich konnte es kaum glauben, daß ich gestern abend hier am Fuß der Treppe in meinem blauen Kleid gestanden und fast fünf-hundert Menschen die Hand geschüttelt hatte; daß auf der Galerie eine Musikkapelle gesessen und gespielt hatte. Ich erhob mich und trat auf die Terrasse hinaus.
Der Nebel zerteilte sich und stieg nach oben bis zu den Baumwipfeln. Ich konnte den Waldrand wieder deutlich erkennen. Die blasse Sonne über mir versuchte die graue Wolkenschicht zu durchdringen. Es war noch heißer geworden. Schwül, wie Frith gesagt hatte. Eine Biene summte an mir vorbei einem Duft zu, laut surrend, und verstummte plötzlich, als sie ihre Blüte gefunden hatte. Auf dem Grashang jenseits des Rasens setzte einer der Gärtner die Mähmaschine in Gang. Ein von dem Klappern aufgescheuchter Hänfling flog zum Rosengarten hinüber. Der Gärtner schob vornübergebeugt seine Maschine langsam vor sich her, das abgeschnittene
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