Rebecca
die Straße wieder vor uns lag.
«Dann waren Sie also schon einmal hier?» fragte ich, als der Wagen den schmalen Weg hinunterfuhr und mein Angstgefühl sich löste.
«Ja», sagte er, und dann nach einer kleinen Pause: «Aber es ist mehrere Jahre her. Ich wollte sehen, ob es sich verändert hat.»
«Und hat es das?» fragte ich ihn.
«Nein», entgegnete er, «nein, es hat sich nicht verändert.»
Ich fragte mich, was ihn wohl zu dieser Flucht in die Vergangenheit getrieben haben mochte, weshalb er mich zum ahnungslosen Zeugen seiner Stimmung werden ließ. Welche Kluft von Jahren mochte zwischen ihm und jenem letzten Ausflug hierher liegen, was für Handlungen, was für Gedanken und welche Veränderungen in ihm selbst? Ich wollte es nicht wissen. Ich wünschte, ich wäre nicht mit ihm gefahren.
So rollten wir ohne anzuhalten, ohne ein weiteres Wort zu wechseln, zu Tal; eine dichte Wolkenbank zog sich über die untergehende Sonne, und die Luft war kalt und klar. Plötzlich fing er an, von Manderley zu sprechen. Er sagte nichts von seinem Leben dort, nichts über sich selber, aber er erzählte mir, wie die Sonne an einem Früh-lingstag in Manderley untergeht und die ganze Landzunge dann rosig erglüht. Das Meer, noch kalt vom langen Winter, sehe wie Schiefer aus, und von der Terrasse könne man beim Einsetzen der Flut den Wellenschlag in der kleinen Bucht hören. Die Narzissen stünden in voller Blüte und wiegten ihre goldenen Köpfe auf den schlanken Stengeln im Abendwind. Auf den abschüssigen Rasenflächen sproßten Krokusse, gelbe, rötliche und violette, aber zu dieser Zeit begännen sie schon zu welken und zu verblühen, wie auch die blassen Schneeglöckchen. Die Primel gedeihe wie Unkraut an jedem Fleck. Für die Glockenblume sei es noch zu früh im Jahr, sie verstecke sich noch unter dem vorjährigen Laub, aber wenn sie dann zum Vorschein komme, überstrahle sie das zarte Veilchen, selbst das Farnkraut im Wald müsse ihr weichen, und ihr leuchtendes Blau fordere geradezu den Himmel heraus.
Er habe sie niemals im Haus gewollt, sagte er. In Vasen büßten sie rasch ihre stolze Haltung ein, und wollte man sie in ihrer ganzen Pracht sehen, müsse man gegen Mittag, wenn die Sonne im Zenit stehe, durch den Wald gehen.
Überhaupt kämen wilde Blumen in Manderley nie ins Haus. Er ziehe sich Blumen für diesen Zweck in dem umfriedeten Garten. Die Rose sei eine der wenigen Blumen, meinte er, die besser gepflückt aussehe als am Strauch. Rosen in einer Schale im Wohnzimmer besäßen einen Reichtum an Farbe und Duft, den sie im Freien niemals hätten. Es sei etwas Unfeines an Rosen in voller Blüte, etwas Oberflächliches und Grobes, wie an ungepflegten Frauen. Im Zimmer dagegen würden sie zu tiefgründigen, mysteriösen Wesen. Acht Monate im Jahr habe er auf Manderley Rosen im Haus. Ob ich Flieder liebte, fragte er mich. Am Rande des Rasens stehe ein Fliederbaum, dessen Duft bis in sein Schlafzimmer dringe. Seine Schwester, ein nüchterner, praktischer Mensch, beklage sich darüber, daß es zu viel Gerüche auf Manderley gebe, daß es einen betrunken mache. Vielleicht habe sie recht. Ihn störe das nicht.
Es sei die einzige Art von Rausch, die ihm Vergnügen bereite. Zu seinen frühesten Erinnerungen gehörten große Fliederzweige in weißen Vasen, deren starker betörender Duft das Haus erfüllte.
Auf der linken Seite des kleinen Pfades, der durch das Tal zur Bucht hinunterführte, seien Azaleen und Rhododendron gepflanzt, und wenn man hier an einem Maiabend nach dem Essen entlanggehe, dann stehe der Duft wie ein feuchter Dunst um die Büsche. Dann trete man etwas schwindlig und betäubt aus dem Tal heraus, und vor einem breite sich die harte weiße Fläche des Strandes und des stillen Meeres aus. Ein seltsamer, vielleicht zu plötzlicher Gegensatz …
Während er so erzählte, wurde unser Wagen wieder einer von vielen; die Dämmerung war hereingebrochen, oh-ne daß ich es bemerkt hatte, und wir befanden uns mitten im Lichterschein und Straßengewühl von Monte Carlo. Der Lärm zerrte an meinen Nerven, und die Lichter kamen mir viel zu grell und viel zu gelb vor. Es war ein unvermittelter, unwillkommener Übergang.
Bald würden wir im Hotel angelangt sein, und ich suchte in der Wagentasche nach meinen Handschuhen. Ich fand sie, und meine Hand umschloß zugleich mit ihnen auch ein Buch, dessen schmale Form den Gedichtband verriet.
Ich versuchte den Titel zu lesen, als der Wagen auch schon vor dem
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