Rebecca
müssen tun, wie Oberst Julyan uns riet. Wir müssen das alles vergessen.
Wir dürfen wirklich nicht mehr daran denken. Das ist jetzt alles vorbei, Liebster. Wir müssen Gott auf den Knien da-für danken.»
Maxim antwortete nicht. Er starrte vor sich hin ins Leere.
«Dein Hummer wird kalt, Liebster», sagte ich. «Iß doch etwas. Es wird dir guttun, du hattest doch Hunger. Du bist müde.» Ich benutzte dieselben Worte, die er zu mir gesagt hatte. Ich fühlte mich bereits kräftiger und wohler. Jetzt war ich es, die für ihn sorgen mußte. Er sah so schrecklich müde und blaß aus. Ich hatte meine Schwäche und Erschöpfung überwunden, aber jetzt setzte die Reaktion bei ihm ein. Das kam nur daher, weil er so hungrig und müde war. Sonst lag doch gar kein Grund vor, sich zu beunruhigen. Mrs. Danvers war also weg.
Auch dafür mußten wir Gott danken. Alles war plötzlich so sehr einfach geworden. «Iß doch deinen Hummer», sagte ich.
In Zukunft würde alles ganz anders werden. Ich würde mich nicht mehr von den Dienstboten einschüchtern und ir-ritieren lassen. Nachdem Mrs. Danvers jetzt nicht mehr da war, würde ich die Führung des Haushalts selbst übernehmen. Ich würde selbst mit der Köchin in der Küche sprechen. Das Personal würde Respekt vor mir haben und mich auch lieben. Bald würde Mrs. Danvers ganz vergessen sein.
Wir würden viel Hausbesuch haben, und mir würde es Spaß machen, die Gästezimmer herzurichten, Blumen und Bücher hinzustellen und für das Essen zu sorgen. Und Kinder würden wir haben, natürlich würden wir Kinder haben …
«Bist du fertig?» unterbrach Maxim plötzlich meinen Gedankengang. «Ich glaube, ich habe genug. Nur noch Kaffee, schwarz bitte und sehr stark. Und dann die Rechnung», fügte er zum Kellner gewandt hinzu.
Ich verstand nicht, warum er so schnell aufbrechen wollte. Es saß sich doch hier so gemütlich, und es lag doch gar kein Grund zur Eile vor. Ich fühlte mich auf meinem Sofa sehr wohl, wo ich mich, den Kopf an das Polster gelehnt, ungestört meiner Zukunftsträumerei hingeben konnte. Ich wäre gern noch eine ganze Zeit sitzen geblieben.
Gähnend und etwas unsicher auf den Beinen, folgte ich Maxim hinaus. «Hör mal», sagte er auf der Straße, «glaubst du, daß du im Wagen schlafen könntest, wenn ich dich ordentlich in die Decke einwickle und dich auf den hinteren Sitz bette? Ein Kissen haben wir ja auch, und meinen Mantel kannst du ebenfalls haben.»
«Ich dachte, wir wollten irgendwo unterwegs übernachten?» erwiderte ich erstaunt. «In einem von diesen netten kleinen Dorfgasthäusern?»
«Ja», sagte er, «aber ich habe plötzlich das Gefühl, ich müßte heute nacht noch zurückfahren.
Könntest du nicht versuchen, es dir im Wagen bequem zu machen?»
«Doch», sagte ich mit zweifelnder Miene, «doch natürlich.»
«Jetzt ist es Viertel vor acht. Wenn wir gleich losfahren, müßten wir gegen halb drei ankommen. Zu dieser Zeit ist ja nicht viel Verkehr auf den Straßen.»
«Aber du bist doch auch müde», warf ich ein. «Es wird dir bestimmt zuviel werden.»
«Nein.» Er schüttelte den Kopf. «Ich bin ganz frisch. Ich will nach Manderley. Ich weiß, daß da irgend etwas nicht in Ordnung ist. Ich will schleunigst zurück.»
Sein Gesicht sah merkwürdig besorgt aus. Er öffnete die Wagentür und machte mir auf dem hinteren Sitz ein Lager zurecht.
«Aber was soll denn schon sein?» fragte ich, «ich verstehe dich gar nicht, warum machst du dir jetzt noch Sorgen, nachdem alles vorüber ist?»
Er antwortete nicht. Ich stieg ein und legte mich auf den Sitz. Er deckte mich mit dem Plaid zu. Es war sehr bequem, viel besser, als ich es mir vorgestellt hatte, und ich schob mir das Kissen unter den Kopf.
«Wie geht es?» fragte er. «Macht es dir bestimmt nichts aus?»
«Nein, nein», sagte ich lächelnd. «Ich liege hier fein, ich werde gleich einschlafen. Jetzt möchte ich gar nicht mehr irgendwo übernachten. Ich will auch viel lieber nach Hause. Wir werden noch vor Sonnenaufgang in Manderley sein.»
Er setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an. Ich schloß die Augen. Der Wagen fuhr an, und ich spürte das leichte Wiegen der Federn unter mir. Ich drückte mein Gesicht auf das Kissen. Der Wagen bewegte sich in einem gleichmäßigen Rhythmus vorwärts, und meine Gedanken stimmten allmählich in diesen Rhythmus ein. Hunderte von Bildern zogen an meinen geschlossenen Augen vorüber; alles mögliche, was ich gesehen, erlebt und auch, was ich
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