Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
Hund dar. Der liegt aufgerollt da, mit der Schnauze zwischen den Pfoten, und lässt Rebecka nicht aus den Augen. Sicherheitshalber hat Lova »Tjapp« auf den schwarz bemalten Rücken geschrieben. Jetzt liegen beide Mädchen im Bett, mit Farbflecken an den Fingern und bis zu den Ohren doppelt zugedeckt. Ehe sie schlafen gegangen sind, haben alle drei die Matratzen aufgerollt und alle kalte Luft herausgepresst. Sara schläft mit offenem Mund und Lova schmiegt sich in den Arm ihrer großen Schwester. Ihre Wangen sind gerötet. Rebecka nimmt eine Decke weg und legt sie ins obere Bett.
Es ist nicht meine Aufgabe, sie zu beschützen, sagt sie sich immer wieder. Wenn der morgige Tag erst vorbei ist, kann ich nichts mehr für sie tun.
Anna-Maria Mella sitzt neben der brennenden Nachttischlampe in ihrem Bett. Robert schläft neben ihr. Sie hat zwei Kissen im Kreuz und lehnt sich an die Bettpfosten. Auf ihren Knien liegt Kristina Strandgårds Album mit Zeitungsartikeln und Bildern, die mit Viktor Strandgård zu tun haben. Das Kind in ihrem Bauch bewegt sich. Sie kann einen Fuß spüren, der energisch drückt.
»Hallo, du Drecksbengel«, sagt sie und streichelt den Fuß, der sich als harter Klumpen unter ihrer Haut abzeichnet. »Du darfst deine alte Mutter nicht treten.«
Sie betrachtet ein Bild von Viktor Strandgård, auf dem er mitten im Winter vor der Kristallkirche auf der Treppe sitzt. Er trägt eine unbeschreiblich scheußliche grüne Häkelmütze. Seine langen Haare hängen über seine linke Schulter. Er hält sein Buch in die Kamera, »Einmal Himmel und zurück«. Lacht. Sieht offen und locker aus.
Hat er Sannas Kindern etwas angetan?, überlegt Anna-Maria. Er ist doch nur ein Junge.
Ihr graust vor dem nächsten Tag und der Vernehmung von Sanna Strandgårds Töchtern.
Aber du wenigstens wirst einen lieben Papa haben, sagt sie in Gedanken zu dem Kind in ihrem Bauch.
Plötzlich ist sie schrecklich gerührt. Denkt an dieses kleine Leben. Lebensfähig und fertig, mit zehn Fingern und zehn Zehen und einer ganz eigenen Persönlichkeit. Warum wird sie immer so sentimental und übertreibt alles? Sie kann sich nicht einmal einen Disneyfilm ansehen, ohne im traurigsten Moment, ehe alles doch noch ein gutes Ende nimmt, in Tränen auszubrechen. Ist es wirklich schon vierzehn Jahre her, dass Marcus in ihrem Bauch gelegen hat? Und Jenny und Peter, die sind auch schon so groß. Das Leben vergeht so unglaublich schnell. Ein Gefühl tiefer Dankbarkeit erfüllt sie.
Ich habe wirklich keinen Grund zu klagen, denkt sie und wendet sich an irgendwen draußen im Universum. Eine wunderbare Familie und ein gutes Leben. Ich habe schon mehr bekommen, als man eigentlich verlangen darf.
»Danke«, sagt sie ins All hinaus.
Robert bewegt sich, dreht sich auf die Seite, wickelt sich in die Decke, bis er aussieht wie eine Raupe.
»Keine Ursache«, antwortet er im Schlaf.
Samstag, 22. Februar
REBECKA GIESST KAFFEE aus der Thermoskanne und setzt sich an den Küchentisch.
Wenn Viktor sich nun an Sannas Kindern vergriffen hat, überlegt sie. Kann Sanna ihn deshalb umgebracht haben? Vielleicht wollte sie ihn mit ihrer Entdeckung konfrontieren, und dann …
Dann was?, unterbricht sie sich selbst. Das hat ihr die Laune verhagelt, und sie hat aus heiterem Himmel ein Jagdmesser herbeigezaubert und ihn erstochen? Und ihm außerdem mit einem schweren Gegenstand, den sie zufällig in der Tasche hatte, den Schädel eingeschlagen?
Nein, das kann nicht sein.
Und wer hat diese Karte geschrieben, die in Viktors Bibel lag? »Was wir getan haben, war in Gottes Augen nicht falsch.«
Sie nimmt die Dosen mit der Farbe, die die Mädchen benutzt haben, und breitet eine alte Zeitung auf dem Tisch aus. Dann malt sie Sanna. Sie sieht aus wie eine Pfefferkuchenfrau mit langen Locken. Darunter schreibt Rebecka »Sara« und »Lova«. Daneben zeichnet sie Viktor. Er bekommt einen leicht verrutschten Heiligenschein. Danach verbindet sie die Namen der Mädchen und Viktor mit einem Strich. Auch zwischen Viktor und Sanna zieht sie einen Strich.
Aber jetzt ist diese Verbindung ja abgerissen, denkt sie und streicht die Striche, die Viktor, Sanna und die Kinder verbinden, aus.
Sie lässt sich auf ihrem Stuhl zurücksinken und ihre Blicke über die spärliche Möblierung wandern, über die grünen, selbstgetischlerten Etagenbetten, den Küchentisch mit den vier Stühlen, die nicht zueinander passen, den Tisch mit der Spülschüssel aus rotem Kunststoff und den
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