Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
auf«, schimpfte Sivving.
»Ich begreife nicht, was mit ihr los ist«, sagte er zu Rebecka.
»Vor einer halben Stunde hat sie schon mal so wild losgekläfft. Sicher ist ein Fuchs oder so was in der Nähe. Sie hat dich doch hoffentlich nicht geweckt?«
Rebecka schüttelte den Kopf.
»Sieh mal, Rebecka, ich male Tjapp!«, rief Lova.
»Mmm, wunderschön«, antwortete Rebecka zerstreut. »Ihr könnt die Steine und die Farben mitnehmen, wir fahren nämlich heute Abend mit dem Schneemobil los und übernachten in der Hütte meiner Oma.«
UM VIERTEL NACH SECHS an diesem Abend lenkte Rebecka das Schneemobil von Sivvings Haus zum Fluss hinunter. Sie trug eine Motorradmütze und eine Lederkappe, aber sie musste doch die Augen zusammenkneifen, wenn ihr der Schnee ins Gesicht peitschte. Das Scheinwerferlicht wurde vom fliegenden Schnee reflektiert und hinderte sie daran, weiter als nur wenige Meter sehen zu können. Sara und Lova lagen zusammen mit dem Proviant unter Decken und Rentierfellen im Schlitten. Von ihnen waren kaum die Nasenspitzen zu sehen.
Sie machte einen Abstecher zum Hofplatz ihrer Großmutter und hielt vor dem Haus an. Eigentlich müsste sie nach oben laufen und die Schlafanzüge der Kinder holen. Aber was, wenn gerade in diesem Moment Sannas Eltern anrückten? Nein, lieber hielt sie sich hier nicht weiter auf. Wenn sie die Mädchen nur bis zum nächsten Tag verstecken könnte, dann würden die Psychologen mit ihnen sprechen. Und danach könnte sich das Jugendamt oder Gott weiß wer um sie kümmern. Rebecka würde dann für sie getan haben, was sie konnte.
Sie gab Gas und fuhr zum Fluss hinunter. Sofort schloss sich die Dunkelheit hinter ihr wie ein Vorhang. Und der Wind verwehte die Spuren des Schneemobils.
Wie ein Schatten steht Curt Bäckström oben in der Küche der Großmutter. Er lehnt sich neben dem Fenster an die Wand und sieht den Rücklichtern des Schneemobils hinterher, die in Richtung Fluss verschwinden. In seiner rechten Hand hält er ein Messer. Der Zeigefinger fährt vorsichtig über die Schneide, um deren Schärfe zu testen. In der einen Tasche seines Fahroveralls liegen drei schwarze Plastiksäcke. In der anderen liegt der Schlüssel zum Haus, den er Rebecka aus der Jackentasche genommen hat. Er steht schon lange wartend hier in der Dunkelheit. Jetzt senkt er für ein Weilchen die Augenlider. Das tut gut. Seine Augen sind trocken und glühend heiß. Die Füchse haben ihren Bau, die Vögel des Himmels ihr Nest, doch der Menschensohn hat keine Stätte, wo er sein müdes Haupt betten kann.
ANNA-MARIA MELLA war in Richtung Lombolo unterwegs. Es war Viertel nach zehn Uhr abends. Sie fuhr zu schnell. Sven-Erik griff instinktiv nach der Oberseite des Handschuhfaches, wenn der Wagen auf verschneiten Fahrbahnflächen ins Schlingern geriet. Die Hand in dem groben Handschuh fand nichts, woran sie sich festhalten konnte.
Das Warenhaus auf der rechten Seite ließ einige schwache Lichtpunkte durch den Schneevorhang sehen. Vor dem Kreisverkehr musste Anna-Maria anhalten, die Räder drehten sich hilflos, als sie aufs Gas trat. Links lag das »Weltraumhaus« genannte Gebäude wie ein gestrandetes, silbernes UFO. Leuchtendrote Schilder. Villenviertel, Stenvägen, Klippvägen, Blockvägen mit ihren sorgfältig vom Schnee befreiten Gärten und den gefüllten Vogelhäuschen.
»Er heißt Curt Bäckström«, sagte Anna-Maria. »Wurde vor zwölf Jahren wegen Mordes verurteilt und dann in psychiatrische Verwahrung genommen, wie es damals hieß. Seither taucht er in unseren Unterlagen nicht mehr auf.«
»Na gut, und was war das für ein Mord?«
»Er hatte seinen Stiefvater erstochen. Mit vielen Stichen. Die Mutter hatte alles gesehen und hat gegen ihren Sohn ausgesagt. Beim Verhör hat sie angegeben, dass sie Angst vor dem Jungen hatte.«
»Angst?«
»Er war erst neunzehn. Und er ist also nicht als Besucher der Konferenz hergekommen. Er wohnt unten in Lombolo, Tallplan 5 B. Eine Kollegin aus Gävle kennt jemanden in der Gerichtskanzlei. Und sie ist nach Feierabend hingegangen und hat die Urteile rübergefaxt. Mit manchen Leuten kommt man wirklich gut zurecht.«
Sie bog auf den Parkplatz ab. Lange Garagenflügel, zweistöckige Mietshäuser vom Ende der sechziger Jahre. Sie stiegen aus dem Wagen und setzten sich in Bewegung. Obwohl Freitagabend war, war kein Mensch zu sehen.
»Das Bezirksgericht hat vor zwei Jahren seine Entlassung angeordnet«, sagte Anna-Maria jetzt. »Er war in
Weitere Kostenlose Bücher