Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
kleinen Hocker, der in der Ecke neben der Tür steht.
Früher, als die Hütte für die Jagd benutzt wurde, hat Onkel Affe immer sein Gewehr auf den Hocker gestellt und an die Wand gelehnt. Sie weiß noch, wie ihr Großvater dann verärgert die Stirn gerunzelt hat. Der Großvater hat sein Gewehr immer sorgfältig in den Kasten gepackt und unter das Bett geschoben.
Jetzt steht die Axt auf dem Hocker, darüber hängt an einem Haken der Fuchsschwanz.
Sanna, denkt Rebecka und schaut wieder ihre Zeichnung an.
Über Sannas Kopf malt sie kleine Spiralen und Sterne.
Wirrkopf Sanna. Die selbst gar nichts schafft. Ihr Leben lang hat eine Menge Trottel eingegriffen und alles für sie in Ordnung gebracht. Ich bin auch so ein verdammter Trottel. Sie hätte mich gar nicht erst um Hilfe zu bitten brauchen. Ich wäre ja doch wie ein bettelndes Hundebaby angekommen.
Sie zaubert Sannas Hände und Arme fort, indem sie sie mit schwarzer Farbe übermalt. So, jetzt ist Sanna handlungsunfähig. Danach malt sie sich selbst und schreibt darüber »Trottel«.
Aus dem Bild steigt die Erkenntnis auf. Der Pinsel folgt unsicher den auf die Zeitung gemalten Figuren. Sanna kann nichts allein schaffen. Dort steht sie ohne Arme und Hände. Wenn Sanna etwas braucht, kommt irgendein Trottel und erledigt alles für sie. Rebecka Martinsson ist ein Beispiel für diese Trottelschar.
Wenn Viktor sich an Sannas Kindern vergreift …
… und sie so wütend ist, dass sie ihn umbringen möchte? Was passiert dann?
Dann wird irgendein Trottel Viktor für sie umbringen.
Kann das so gewesen sein? Es muss so gewesen sein.
Die Bibel. Der Mörder hat Viktors Bibel in Sannas Küchenbank gelegt.
Natürlich. Nicht, um Sanna Schwierigkeiten zu machen. Es sollte ein Geschenk für sie sein. Die Mitteilung, die Postkarte mit der krakeligen Handschrift, war an Sanna gerichtet, nicht an Viktor. »Was wir getan haben, war in Gottes Augen nicht falsch.« Viktor umzubringen war in Gottes Augen kein Vergehen.
»Wer?«, fragt Rebecka laut und zeichnet ein leeres Herz neben Sannas Bild. In das Herz setzt sie ein Fragezeichen.
Dann lauscht sie. Versucht, durch den Sturm ein Geräusch zu hören. Ein Geräusch, das nicht hierher gehört. Und dann hört sie es plötzlich, das Dröhnen eines Schneemobils.
Curt. Curt Bäckström, der unter dem Fenster auf seinem Schneemobil saß und zu Sanna hochschaute.
Rebecka springt auf und schaut sich um.
Die Axt, denkt sie voller Panik. Ich nehme die Axt.
Aber jetzt hört sie den Motor des Schneemobils nicht mehr.
Es war nur Einbildung, jetzt ganz ruhig bleiben, redet sie sich zu. Hinsetzen. Du bist gestresst und hast Angst und hörst Gespenster. Da draußen ist niemand.
Sie setzt sich, kann aber die Blicke nicht von der Türklinke lösen. Sie muss aufstehen und abschließen.
Fang jetzt nicht so an, denkt sie wie eine Beschwörung. Da draußen ist niemand.
Gleich darauf wird die Türklinke nach unten gedrückt. Die Tür geht auf. Der wütende Sturm dringt zusammen mit einer eiskalten Luftflut ein, und ein Mann in einem dunkelblauen Overall kommt ins Haus gestürzt. Drückt die Tür hinter sich zu. Zuerst kann sie nicht sehen, wen sie da vor sich hat. Dann zieht er die Hasskappe vom Kopf.
Es ist nicht Curt Bäckström. Es ist Vesa Larsson.
ANNA-MARIA MELLA TRÄUMT. Sie springt aus einem Streifenwagen und läuft zusammen mit den Kollegen über die E 10 zwischen Kiruna und Gällivare. Sie sind unterwegs zu einem Autowrack, das sich zehn Meter von der Fahrbahn entfernt überschlagen hat. Sie kommt nur langsam voran. Ihre Kollegen stehen schon neben dem zusammengepressten Wagen und rufen ihr zu:
»Beeil dich! Du hast doch die Säge. Wir müssen sie da rausholen.«
Sie rennt weiter, mit der Motorsäge in der Hand. Irgendwo hört sie eine Frau herzzerreißend schreien.
Jetzt ist sie endlich am Ziel. Sie lässt die Motorsäge an. Die frisst sich kreischend durch das Blech des Autos. Anna-Marias Blick fällt auf den Kindersitz, der im auf dem Kopf stehenden Auto hängt, aber sie kann nicht sehen, ob ein Kind darin sitzt. Die Motorsäge kreischt, aber dann schlägt ihr Geräusch plötzlich in einen schrillen Klingelton um. Wie ein Telefon.
Robert versetzt Anna-Maria einen Rippenstoß und schläft wieder ein, sowie sie den Hörer von der Gabel genommen hat. Vom anderen Ende der Leitung her ist Sven-Erik Stålnackes Stimme zu hören.
»Ich bin’s«, sagt er. »Du, ich bin gestern noch mal zu Curt Bäckström gefahren. Aber
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