Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
Sprachrohr und Leitwölfin der Klasse. Hoch und hart schrillt ihre Stimme durch das Klassenzimmer. Viele stimmen ihr murmelnd zu.
» Da ist das Angebot in Kiruna ja nicht gerade groß « , lautet Margareta Franssons lahme Entschuldigung.
Dann übergibt sie das Wort an Pastor Thomas Söderberg.
Er ist schön, so ist das einfach. Dunkelbraune Locken, langer Pony. Er lacht und scherzt, aber ab und zu wird er auch sehr ernst. Er ist zu jung, um Geistlicher zu sein, oder Pastor, wie er sagt. Und er trägt Jeans und Hemd. Er zeichnet an die Tafel. Eine Brücke. Wie Jesus sein Leben für die Menschen gegeben hat. Um eine Brücke zu Gott zu bauen. Denn so sehr liebte Gott die Welt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn für sie hingab. Er nennt die Klasse » du « , obwohl er vierundzwanzig Schüler auf einmal anspricht. Er will, dass sie das Leben wählen. Ja sagen. Und er hat auf alle Fragen, die sie ihm später stellen, eine Antwort. Einige Fragen lassen ihn zunächst verstummen. Die Stirn runzeln und nachdenklich nicken. Als habe er sie zum allerersten Mal gehört. Als hätten sie ihm Grund zum Nachdenken geliefert. Viel später wird Rebecka wissen, dass das alles durchaus nicht der Fall war. Dass er die Antworten schon längst bereit liegen hatte. Aber wer immer eine Frage stellt, soll das Gefühl haben, etwas ganz Besonderes zu sein.
Er beendet seinen Besuch mit einer Einladung ins Sommerlager der Missionskirche in Gällivare. Drei Wochen Arbeit und Bibelstudien, ohne Bezahlung, nur gegen Kost und Logis.
» Trau dich, neugierig zu sein « , ermahnt er sie. » Du kannst nicht wissen, ob der christliche Glaube nichts für dich ist, solange du nicht weiß, was er wirklich bedeutet. «
Rebecka hat das Gefühl, dass er sie ansieht, als er das sagt. Deshalb sieht sie ihm ins Gesicht. Und kann das Feuer spüren.
Auf der Straße war bis zum grauen Eternithaus der Großmutter der Schnee geräumt. Im Obergeschoss brannte Licht. Rebecka nahm ihre Tasche und die Einkaufstüte voller Lebensmittel aus dem Wagen. Sie hatte unterwegs eingekauft. Das war vielleicht nicht nötig, aber man wusste doch nie. Sie schloss das Auto ab.
So bin ich jetzt, dachte sie. Eine, die abschließt.
»Hallo«, rief sie, als sie die Tür öffnete.
Es kam keine Antwort, aber vermutlich hatten Sanna und die Kinder die Tür zur Treppe geschlossen und sie nicht gehört.
Sie ließ Tasche und Einkaufstüte auf den Boden fallen und drehte im Erdgeschoss eine Runde, ohne die Lampen einzuschalten. Es roch stickig und dumpf. Nach Linoleumboden und Feuchtigkeit. Vernachlässigt. Die Möbel standen da wie müde Gespenster und drückten sich in der Dunkelheit unter den handgesäumten Leintüchern der Großmutter gegen die Wände.
Vorsichtig ging sie die Treppe hoch. Sie hatte Angst, auszurutschen, da der geschmolzene Schnee unter ihren Schuhsohlen ihre Schuhe glatt machte.
»Hallo«, rief sie nach oben, aber auch diesmal kam keine Antwort.
Rebecka öffnete die Tür zur oben gelegenen Wohnung und betrat die enge, dunkle Diele. Als sie sich bückte, um ihre Stiefel zu öffnen, stieß etwas Schwarzes gegen ihr Gesicht. Sie schrie auf und kippte rückwärts um. Zweimal wurde glücklich gebellt, dann nahm das Schwarze die Form eines niedlichen Hundekopfes an. Eine schmale Zunge nutzte die Gelegenheit, um sich mit Rebeckas Gesicht bekannt zu machen. Die Hündin bellte noch zweimal aufmunternd, dann leckte sie wieder los.
»Tjapp, hierher!«
Ein Mädchen von vielleicht vier Jahren erschien in der Türöffnung. Die Hündin drehte auf Rebeckas Bauch eine kleine Pirouette, tanzte zum Mädchen hinüber, leckte auch dieses kurz ab und wuselte danach zu Rebecka zurück. Aber die war inzwischen wieder auf die Beine gekommen. Während die Hündin ihre Nase in die Einkaufstüte bohrte.
»Du bist bestimmt Lova«, sagte Rebecka und schaltete das Licht ein, während sie zugleich mit dem Fuß die Hündin von der Einkaufstüte wegschob.
Das Licht fiel auf das Mädchen. Es hatte sich in eine Decke gehüllt, und Rebecka merkte, wie kalt es im Haus war.
»Wer bist du?«, fragte Lova.
»Ich heiße Rebecka«, sagte Rebecka kurz. »Wir gehen in die Küche.«
Gleich hinter der Küchentür blieb sie stehen und schaute sich voll stummer Verwirrung um. Die Stühle waren umgekippt. Die Flickenteppiche ihrer Großmutter lagen wild durcheinander unter dem Küchentisch. Die Hündin lief zu einem Stapel von Laken, die vermutlich über den Möbeln im Schlafzimmer gelegen hatten. Sie
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