Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
schwarze Bergbirken im Winter oder an die Geweihe einer Rentierherde erinnert. Das hufeisenförmige Eisenbahndepot mit den dazugehörigen roten Eisenbahnerhäuschen. Die Hochhäuser am Gruvväg und an der Högalidsgata.
»Sieh mal! Heute kann man das Kebnekaisemassiv sehen!«
Er zeigte auf den blassblauen Gebirgszug im Nordwesten. »Ich begreife einfach nicht, welcher davon der Keb ist«, fuhr er fort. »Nach allem, was ich gehört habe, ist es nicht der höchste.«
Sie zeigte darauf. Er reckte den Kopf zu ihr vor, um besser der Richtung ihres Fingers folgen zu können.
»Du siehst den Tuolpagorni«, sagte sie. »Mit dem kleinen Krater. Der Berg genau rechts davon ist der Kebne.«
Er trat ein Stück von ihr zurück.
»Entschuldige«, sagte er. »Da lehne ich mich einfach so über dich und stinke nach Schweiß.«
»Das macht nichts«, sagte sie und spürte, wie eine Welle ihren Körper durchlief.
»Der höchste Berg Schwedens«, sagte er fröhlich und spähte aus zusammengekniffenen Augen zu der Bergkette hinüber.
»Das schönste Gebäude Schwedens im Jahre 2001«, sagte Rebecka und zeigte auf die Kirche.
»Das schönste Gebäude Schwedens im Jahre 1964«, sagte Krister und zeigte auf das Stadthaus.
»Die schönste Stadt Schwedens«, gab sie zurück und lachte. »Der Städteplaner wollte die Stadt wirklich als Kunstwerk entwerfen. Damals wurden noch immer Städte mit einer Quadratur aus Straßen gebaut, mit einer Allee zu Marktplatz und Rathaus. Die Straßen von Kiruna durften sich frei am Hang entlangschlängeln.«
»Ich kann es nicht fassen, dass sie die ganze Stadt verlegen wollen«, sagte er.
»Ich auch nicht. Der Haukivaara war ein so perfekter Berg, um eine Stadt darauf anzulegen.«
»Aber wenn sich die Erzader unter der Stadt hindurchzieht …«
»… muss die Stadt eben umziehen.«
»Also«, sagte er. »Ich bin ja nicht von hier. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass es den Leuten hier etwas ausmacht. Wenn ich frage, wie sie über diese Stadtverlegung denken, dann zucken sie eigentlich nur mit den Schultern. Meine achtzigjährige Nachbarin findet, die Stadt sollte nach Westen verlegt werden, dann hätte sie es nicht mehr so weit bis zum Laden. Ich finde das so seltsam. Die Einzige, die überhaupt einen Standpunkt zu haben scheint, wird doch schon in der Erde liegen, wenn der Umzug endlich losgeht.«
»Ich glaube schon, dass es den Leuten wichtig ist«, sagte Rebecka zögernd. »Aber wir hier in Kiruna haben immer gewusst, dass wir wegen des Bergwerks hier sind. Und wenn die Grube keinen Ertrag mehr abwirft, dann haben wir nichts, wovon wir leben könnten. Wenn die Grubengesellschaft also die Stadt verlegen muss, ja, dann gibt es nichts zu diskutieren. Also akzeptieren wir es. Und wenn wir es akzeptieren, dann glauben wir nicht, dass wir trauern dürfen.«
»Obwohl das eine das andere doch nicht ausschließt.«
»Nein, ich weiß. Aber ich glaube, sie brauchen Zeit, um das zu begreifen. Um zu verstehen, dass uns zwar nichts anderes übrig bleibt, dass wir aber trotzdem das Recht haben, um unsere Stadt zu trauern, die nie wieder dieselbe sein wird.«
»Man müsste Abschiedskonzerte bei den Häusern veranstalten, die abgerissen werden«, philosophierte Krister Eriksson. »Jammerpartys. Musik. Lesungen. Geschichtenerzählen.«
»Ich würde kommen«, sagte Rebecka lächelnd.
Sie dachte daran, wie sie mit Måns nach Luossavaara hochgegangen war. Er hatte gefroren und ungeduldig gewirkt. Sie hatte ihm alles zeigen und darüber reden wollen. So wie jetzt.
REBECKA MARTINSSON saß in Sivvings Heizungskeller auf der Küchenbank. Sie trug dicke Wollsocken an den Füßen und einen Strickpullover, der irgendwann ihrem Vater gehört hatte.
Sivving stand vor dem Herd, mit einer von Maj-Lis’ Schürzen, die Rebecka noch nie gesehen hatte. Diese Schürze war blau-weiß gestreift und hatte Volants am Saum und um die Armlöcher.
Sivving wärmte in einer Pfanne geräucherten Hecht auf. Einer von Maj-Lis’ gehäkelten Topflappen hing über dem Griff. In einem Aluminiumtopf kochten Mandelkartoffeln.
»Ich muss kurz telefonieren«, sagte Rebecka. »Macht das was?«
»Zehn Minuten«, sagte Sivving. »Dann gibt’s Essen.«
Rebecka wählte Anna-Maria Mellas Nummer. Anna-Maria meldete sich sofort. Im Hintergrund war ein weinendes Kind zu hören.
»Verzeihung«, sagte Rebecka. »Störe ich?«
»Nein, keine Sorge«, sagte Anna-Maria und seufzte. »Das ist Gustav. Ich hatte mich auf dem Töpfchen
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