Rebecka Martinsson 05 - Denn die Gier wird euch verderben
Krister Eriksson ließ ihn gewähren. Angst und Schrecken kamen doch, wenn man schlafen ging. Das Gleiche galt für Erwachsene. Und am nächsten Morgen würde der Junge schlafen können, solange er wollte.
Es war schon nach elf, als er endlich zu Krister gekrabbelt kam und erklärte, der Wildhund sei jetzt müde.
Sie putzten die Zähne, obwohl die anderen Hunde das nicht mussten. Aber danach wollte der Wildhund um keinen Preis im Bett unter einer Decke schlafen.
»Der Wildhund will in der Hundehütte schlafen«, erklärte er.
Also baute Krister abermals vor der Hundehütte sein Winterzelt auf.
Dann saßen Krister und Marcus mit einer Taschenlampe in der Hundehütte. Vera, Tintin und Roy drängten sich an sie. Die Hunde waren einfach begeistert von dieser Gesellschaft. Und von den Rentierfellen, die Krister auf den Boden gelegt hatte. Es roch gemütlich nach Hund und ein wenig streng nach Rentieren.
Krister las aus dem Kleinen Prinzen vor und leuchtete die Bilder mit der Taschenlampe an.
»Der Kleine Prinz bekam einen Fuchs«, sagte Krister. »So, wie ich dich bekommen habe, Wildhund.«
»›Mein Leben ist eintönig. Ich jage Hühner, die Menschen jagen mich. Alle Hühner gleichen einander, und alle Menschen gleichen einander. Ich langweile mich also ein wenig. Aber wenn du mich zähmst, wird mein Leben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines Schrittes kennen, der sich von allen andern unterscheidet. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde. Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken.‹«
»Lass mal den Fuchs sehen«, bat Marcus.
Krister blätterte einmal um, und Marcus tippte das Bild des Fuchses an.
»Weiterlesen«, bat er.
»›Und dann schau! Du siehst da drüben die Weizenfelder? Ich esse kein Brot. Für mich ist der Weizen zwecklos. Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist traurig. Aber du hast weizenblondes Haar.‹«
»Du hast keine Haare«, sagte Marcus.
»Nein, aber du«, sagte Krister und machte eine Hand frei, um dem Jungen über die blonden Haare zu streichen.
Du darfst dich nicht an ihn hängen, ermahnte Krister sein Herz, als die Hand über die weichen Kinderhaare fuhr. Er las weiter.
»›Oh, es wird wunderbar sein, wenn du mich einmal gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelder wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide liebgewinnen.‹«
Marcus sah sich noch einmal das Bild des Fuchses an. Dann blätterten sie zu der Stelle zurück, bis zu der sie vorhin gekommen waren.
»Der Fuchs verstummte und schaute den kleinen Prinzen lange an:
›Bitte … zähme mich!‹ sagte er.
›Ich möchte wohl‹, antwortete der Kleine Prinz, ›aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muß Freunde finden und viele Dinge kennenlernen.‹
›Man kennt nur die Dinge, die man zähmt‹, sagte der Fuchs. ›Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!‹«
Jetzt lehnte Marcus sich schwer gegen Krister.
»Schläfst du?«
»Nein«, sagte der Junge schlaftrunken. »Lies weiter. Der Wildhund will mehr vom Fuchs hören.«
»›Was muß ich da tun?‹ sagte der Kleine Prinz. ›Du mußt sehr geduldig sein‹, antwortete der Fuchs. ›Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Mißverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bißchen näher setzen können …‹«
Marcus war eingeschlafen. Seine Atemzüge wurden regelmäßig. Als Krister ihn vorsichtig hinlegte und den Schlafsack um ihn hochzog, murmelte er: »Und dann?«
»Dann erzählt der Fuchs dem Kleinen Prinzen ein Geheimnis«, flüsterte Krister. »Aber darüber lesen wir morgen. Ich schlafe hier gleich nebenan im Zelt. Vera bleibt mit dir hier. Komm zu mir, wenn du in der Nacht aufwachst, ja?«
»Ja«, sagte Marcus halb im Traum. »Der Wildhund ist genau wie der Fuchs.«
Krister blieb sitzen, während der Junge in Schlaf versank. Dann kroch er aus der Hütte. Der Frost schlich durch das Gras. Die Nacht war sternenklar und schwarz.
Nein, mein Freund, dachte er. Ich bin hier der Fuchs.
24. Oktober
D ER Z ORN TOBTE durch Rebecka Martinssons Träume und weckte sie schließlich. Ihr Mobiltelefon zeigte fünf Uhr, früh, aber doch nicht mehr mitten in der
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