Rebella - Verliebt oder was?
liebsten
würde ich zu ihr rennen und ihr einen Kuss geben, aber ich
tue nichts. Ich lächele sie nur vorsichtig an.
»Hey, du«, sage ich.
Sie sieht nicht auf, als sie ›Hey‹ zurücksagt.
»Wie geht’s?«, frage ich.
Sie zuckt mit den Schultern und starrt weiterhin auf den
Boden. Ihre Haare fallen ihr ins Gesicht. Sogar ihre Haare
wirken stumpf, als hätte sie sie tagelang nicht gewaschen.
»Dir geht’s nicht gut, was?«, frage ich.
Kaum merklich schüttelt sie den Kopf. Sie sieht so klein
aus, so furchtbar klein und zerbrechlich.
»Was machen wir nur, Marie?«
Ich merke erst, dass ich es laut gesagt habe, als Marie ruckartig
den Kopf hebt.
»Was wir machen?«, fragt sie. »Ich mache überhaupt
nichts! Du bist derjenige, der … der …«
Ihre Stimme klingt wacklig und sie spricht den Satz nicht
zu Ende. Stattdessen schaut sie wieder zu Boden. »Lass nur.«
»Der
was
, Marie? Der Julia geküsst hat?«
Marie schüttelt langsam den Kopf. »Ich kann das nicht«,
sagt sie leise. Sie spricht mehr zu sich selbst als zu mir. »Ich
will nicht hören, wie …«
»Aber ich habe Julia doch gar nicht geküsst«, unterbreche
ich sie.
Marie schaut mich immer noch nicht an. Ihre Hände zittern,
als sie sich die Augen reibt.
»Ich glaube dir nicht«, sagt sie kaum hörbar. »Ich glaube
dir kein Wort.«
Ich merke, dass ich wütend werde. »Hat Lynn dir vielleicht
weisgemacht, ich hätte Julia geküsst?«
Marie sieht mich plötzlich so böse an, dass ich einen
Schreck bekomme. Ihr Mund ist zu einem schmalen Strich
verzerrt und an ihrem linken Auge zuckt es.
»Sag nichts über Lynn«, erwidert sie langsam. »Wag es
nicht, etwas über Lynn zu sagen.«
»Aber es stimmt doch? Du hast es von Lynn gehört?«
Das war geraten, aber plötzlich bin ich mir sicher. Lynn
ist am Freitag gar nicht mit Bauchschmerzen nach Hause
gegangen. Sie ist schnurstracks zu Marie, nachdem sie gesehen
hatte, dass Julia versucht hat, mich zu küssen. Dass ich
Julia weggeschoben habe, hat sie gar nicht mitbekommen.
»Ja! Tatsächlich, ja! Sie hat euch nämlich gesehen. Dass
Julia bei dir auf dem Schoß saß und ihr euch geküsst habt
und alles. Alles hat sie gesehen.«
Marie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Das jämmerliche Häufchen Elend von gerade ist plötzlich
verschwunden. Stattdessen steht jemand vor mir, der mich
hasst.
»Ach ja?«, sage ich. »Und hat sie auch gesehen, dass es Julia
war, die versucht hat, mich zu küssen? Dass ich sie weggeschoben
habe?«
»Ja, sicher, Raoul! Und am letzten Samstag hast du sie wohl
auch nicht nach Hause gebracht?«
Das läuft völlig falsch. Marie will gar nicht wissen, was
wirklich passiert ist. Sie will einfach nur ihre Wut an mir auslassen.
Ich hole tief Luft, um nicht zu schreien. Ich muss ruhig
bleiben und zeigen, dass ich die Situation unter Kontrolle
habe.
»Ich habe sie tatsächlich am Samstag nach Hause gebracht.
Ihr Rad war geklaut worden und ich musste zufällig in dieselbe
Richtung.«
»Zufällig«, schnaubt Marie spöttisch. »Das ist alles sehr
zufällig, meinst du nicht auch?«
Jetzt bin ich dran mit Schweigen. Ja, es klingt wirklich alles
zu zufällig, wenn man es so erzählt.
»Was soll ich tun, Marie? Soll ich mich entschuldigen, weil
ich dir nichts davon erzählt habe? Okay, Entschuldigung.
Aber mal ehrlich: Wie hättest du reagiert, wenn ich es dir
gesagt hätte?«
Marie schaut mich schweigend an. Erst sieht es so aus, als
würde sie wieder wütend auf mich werden, aber dann schüttelt
sie den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Ich weiß überhaupt
nichts mehr.«
Ich hole erneut tief Luft. »Es ist nichts passiert«, sage ich
ruhig. »Ich habe sie nur nach Hause gebracht, das ist alles.«
Marie hat die Fäuste so fest geballt, dass ihre Fingerknöchel
weiß hervortreten.
»Bist du in sie verliebt?«
»Was?«
»Bist du in Julia verliebt?«
Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt. Das hatte ich
schon befürchtet. »Nein«, sage ich schnell, »das bin ich nicht.
Aber Julia ist in mich verliebt. Darum hat sie auch versucht,
mich zu küssen.«
Marie guckt, als hätte ich sie gerade ins Gesicht geschlagen.
»Jetzt willst du auch noch ihr die Schuld geben?«, fragt sie
heiser. »Gib doch einfach zu, dass du Julia zurückwillst, dann
ist die Sache für mich gegessen.«
Ich weiß nicht, was ich noch sagen kann, um ihr klarzumachen,
dass ich nichts von Julia will. Dass es genau umgekehrt
ist. Warum glaubt sie mir das nicht?
»Ich will nichts
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