Rebellen der Ewigkeit
aufhält«, sagte er. Selbst wenn er mit Karelia sprach, ließ er Willis nicht aus den Augen. Willis fragte sich, ob er dem Mann wohl schon einmal begegnet war. Doch sosehr er sein Gedächtnis auch zermarterte, es wollte ihm nichts einfallen. Warum also behielt Maggiore ihn ständig im Auge?
Er war froh, als er hinter Karelia den Raum verlassen konnte. Draußen wartete derselbe Mann, der sie hergeführt hatte, und begleitete sie zum Ausgang zurück.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Willis, als sie wieder im Pick-up saßen.
»Kriegsrat halten«, erwiderte Karelia und schoss so unvermittelt aus ihrer Parklücke, dass mehrere Fahrer in die Bremsen steigen mussten, um nicht mit ihr zu kollidieren. Ein wütendes Hupkonzert verfolgte sie bis zum nächsten Block, wo Karelia rechts abbog und mit viel zu hoher Geschwindigkeit zu ihrem Büro zurückraste.
ZUR SELBEN ZEIT,
IN BUENOS AIRES …
Die Plaza de Mayo im Herzen von Buenos Aires ist einer der größten Plätze der Stadt. Traurigen Ruhm erlangte sie im 20. Jahrhundert, als sich dort jeden Donnerstag die Mütter trafen, deren Kinder unter der Herrschaft der Militärdiktatur spurlos verschwunden waren.
Osvaldo Gardel stand an einem Fenster im ersten Stock des Präsidentenpalastes und blickte auf den Platz. Die Demonstrationen der Mütter waren schon lange Vergangenheit, aber immer noch konnte man ihren Geist auf dem Platz spüren. Inzwischen war die Plaza de Mayo ein Ort der Freiheit und der Versöhnung geworden und Argentinien seit vielen Jahrzehnten eine Demokratie.
Osvaldo zupfte nervös an seinem dünnen Schnurrbart. Als er heute Morgen zur Arbeit gekommen war, hatte er das Gefühl, als ob irgendetwas in der Luft lag. Ob es sich lediglich um eine unbegründete Furcht handelte? Oder war es wirklich eine Vorahnung, dass heute etwas Schreckliches geschehen würde?
Osvaldos Freundin zog ihn wegen seiner Ahnungen immer auf. Es stimmte, er war kein optimistischer, lebenslustiger Mensch, obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte. Trotz seiner relativ jungen Jahre war er bereits Dritter Sekretär des Staatspräsidenten und seine Aufstiegschancen waren grandios. Er bekam ein ausgezeichnetes Gehalt, besaß eine große Wohnung in einer der besten Gegenden von Buenos Aires und speiste nur in den vornehmsten Restaurants, meistens kostenlos, weil sich die Besitzer mit dem Präsidenten und seinen engsten Mitarbeitern gut stellen wollten.
Und trotzdem war Osvaldo voller Sorgen.
Vielleicht lag es ganz einfach an seinem Charakter. Er war schon immer ein nervöser Mensch gewesen, und der schnelle Aufstieg hatte ihn nicht ruhiger werden lassen. Im Gegenteil, neue Ängste waren dazugekommen wie die, plötzlich seinen Job zu verlieren und mittellos dazustehen.
Osvaldo seufzte tief.
Er wollte sich gerade zur Morgenbesprechung beim Präsidenten aufmachen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf dem Platz wahrnahm. Er hielt inne.
Eine Gruppe von Menschen erschien am anderen Ende der Plaza. Nein, korrigierte sich Osvaldo, es war keine Gruppe, es war ein Demonstrationszug, der langsam näher kam.
Der Menschenzug schob sich über den Platz und machte schließlich vor dem Präsidentenpalast halt. Osvaldo schätzte, dass es sich um mindestens zehntausend Teilnehmer handelte. Die Demonstration wurde vom Vorsitzenden des Nationalen Gewerkschaftsbundes angeführt, der zu beiden Seiten von Fahnenträgern flankiert wurde, welche die Flaggen der Gewerkschaft in die Luft reckten.
Osvaldo stöhnte leise. Nicht schon wieder! Seit Wochen marschierten die Gewerkschaften immer wieder auf, um neue Reformen zu verlangen. Und jedes Mal, wenn der Präsident ihnen ein Zugeständnis machte, schien sie das nur noch mehr anzuspornen, neue Forderungen zu stellen.
Der Präsident war viel zu nachgiebig, fand Osvaldo. Er an seiner Stelle hätte die Gewerkschaften schon längst aufgelöst. Wo sollte das noch hinführen? Jeder, der hier demonstrierte, war nicht an seinem Arbeitsplatz. Das würde der Wirtschaft Argentiniens, mit der es sowieso nicht zum Besten stand, wieder Millionenverluste eintragen.
Osvaldo eilte zum Büro des Präsidenten. Während er die breite Marmortreppe hinauflief, erfasste ihn für einen Moment ein leichter Schwindel und er musste sich kurz am Geländer festhalten. Sofort fuhr ihm ein Artikel durch den Kopf, den er kürzlich gelesen hatte und in dem es um die Vorzeichen eines Schlaganfalls ging. Er beschloss, bei der nächsten Gelegenheit einen Arzt aufzusuchen.
Als
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