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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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sagte sie.
    Noch ein Blick zum Fernseher. Eine Abgeordnete der Grünen sprach schnell und hob nun die Hände mit einer pathetischen Geste, als stände sie vor Tausenden auf dem Marktplatz und nicht vor einem fast leeren Plenarsaal. Die übliche Methode, interessante Fernsehbilder zu erzeugen, die es dann bis in die Tagesschau schaffen.
    Niemand erwartete etwas Besonderes. Heute war Freitag, die Sitzungswoche ging zu Ende, und viele Abgeordnete waren schon abgereist. Über alle Gesetze, die heute verabschiedet wurden, war bereits in den Ausschüssen abgestimmt worden. Parlamentarische Alltagsarbeit. Nichts Aufregendes. Auf der Regierungsbank saß nur der Akten lesende Innenminister und in den hinteren Bänken drei oder vier Staatssekretäre.
    Sie verzog ihr Gesicht zu einem Lächeln, aber es wirkte gequält. Der Reifen in ihrer Brust dehnte sich weiter.
    Langsam einatmen. Tief durch die Nase einatmen.
    Ihr Bauch hob sich. Sie machte alles genau so, wie der Yogalehrer es ihr beigebracht hatte.
    Ausatmen. Langsam ausatmen. Durch den Mund. Augen schließen.
    Noch ehe ihre Lungen die verbrauchte Luft ausgestoßen hatten, wusste sie, dass ihr das bewusste Atmen nicht helfen würde. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Das Herz. Es schlug mit wuchtigem Trommeln gegen die Brust. Sie hatte Angst.
    Gottserbärmliche Angst.
    Es wird Zeit.
    Ob das Make-up halten wird?
    Sie straffte sich, nahm die beiden Blätter, auf denen sie ihre Rede notiert hatte, und verließ das Büro.
    Mit dem Aufzug fuhr die Abgeordnete Angelika Schöllkopf in die Halle des Paul-Löbe-Hauses. Heute hatte sie kein Auge für die Schönheit der Halle, die Eleganz des Gebäudes, die jeden Besucher die Größe des umbauten Raumes vergessen ließ. Vor einem der zylinderförmigen Ausschussräume ließ sie sich in einen der schwarzen Ledersessel sinken und ruhte sich für einen kurzen Moment aus. Der Kollege Keetenheuve von der anderen Partei kam ihr entgegen, ins Gespräch vertieft mit Korodin vom eigenen Lager. Keetenheuve winkte ihr zu. Sie verzog das Gesicht. Es sollte freundlich wirken, aber sie wusste nicht, ob ihr das gelang. Sie mochte Keetenheuve.
    Auch so ein aussterbender Dinosaurier, schade, dass wir nicht mehr von seiner Sorte haben.
    Die rote Lampe an der Deckenuhr leuchtete jäh auf. Die Abgeordneten wurden zur Abstimmung gerufen. Mühsam stützte sie sich ab und stand wieder auf. Sie ging durch den Tunnel hinüber ins Herz des Bundestages. Sie beachtete nicht die sorgfältig freigelegten und restaurierten Inschriften der russischen Rotarmisten, mit denen sie sich an den Wänden des Reichstages verewigt hatten, als sie das Gebäude im Mai 1945 gestürmt hatten. Auf der Plenarsaalebene blieb sie noch einmal stehen. Sie hob die Hand zu einer Geste, als könne sie den Gummireifen in ihrer Brust abstreifen. Mit einem Mal wusste sie nicht mehr, ob ihre Kräfte reichen würden.
    In ihrem Innern war nun ein Dröhnen, das alle äußeren Geräusche übertönte: das Gespräch zweier Parlamentsmitarbeiter, die Stimme des Präsidenten, die aus dem Plenarsaal drang und mit der er nun den nächsten Tagesordnungspunkt aufrief, die soundsovielte Änderung des Gesetzes zur Beschränkung des Wettbewerbs, und die erregte Diskussion zweier Journalisten, die sich in den schwarzen Ledercouchs der Lobby fläzten.
    Sie betrat den Plenarsaal durch den Osteingang. Vorbei an den fünf weißen Stehkabinen, die bei Wahlen aufgestellt werden und die sie immer an Beichtstühle erinnerten. »Geht es Ihnen nicht gut, Frau Schöllkopf?«, fragte Korf, der alte Saaldiener, der so verknittert aussah, als habe er schon Adenauer die Türen aufgehalten.
    Mir geht es beschissen.
    Einen Augenblick nur blieb sie stehen, berührte kurz den Arm des alten Mannes im schwarzen Frack.
    »Geht schon, Korf, geht schon. Muss ja.«
    »Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf. Neuregelung des Paragraphen 103 a, alte Fassung des Gesetzes zur Beschränkung des Wettbewerbs. Das Wort erteile ich der Kollegin Schöllkopf«, sagte der Präsident.
    Einige der Abgeordneten drehten sich um. Sie sah die gerunzelte Stirn des Fraktionsvorsitzenden. Seine Missbilligung schlug ihr entgegen. Er mochte sie nicht.
    Gleich wirst du mich noch weniger mögen.
    Sie ging nun zwischen den leeren Stühlen der Abgeordneten hinunter.
    Kopf hoch.
    Nur in den ersten drei Reihen des Plenums saßen Abgeordnete. Sie sah mäßig neugierige Blicke.
    »Wie siehst du denn wieder aus?«, zischte ihr ein Kollege aus der eigenen Fraktion

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