Rebellin der Liebe
der Burg zu zerren begann.
Seine Brüder und Schwestern kauerten reglos hinter einem Weißdornbusch, und selbst seine Krähe, die ihrer Schiene entledigt war, flatterte mit einem unbeteiligten Krächzen davon. Desmond heulte vor Empörung und wurde so rot, dass man kaum noch seine Sommersprossen sah. Willow jedoch hatte sein Ohr in einem derart festen Griff, dass er hinter ihr her zu stolpern gezwungen war.
Als sie sich Bannor näherten, wimmerte er herzerweichend: »Papa, o Papa, rette mich! In Zukunft werde ich auch immer brav sein. Das verspreche ich.«
Unmittelbar vor Bannor blieb Willow mit ihrem Opfer stehen. Da sie nicht wissen konnte, dass er ihr in diesem Moment niemals etwas hätte verwehren können, sah sie ihn reglos an.
»Dürfte ich vielleicht ein paar Worte mit Eurem Sohn wechseln, Mylord?«
Desmond umklammerte das gefütterte Wams, das Bannor über seiner Rüstung trug. »Bitte lass sie mich nicht mitnehmen, Vater«, jammerte er flehentlich. »Sie ist vollkommen verrückt!«
Bannor beugte sich zu seinem Sohn und flüsterte: »Im Hinblick auf weitere Gefechte, unbesiegbarer Sir Desmond, rate ich Euch, Eure Gegner sorgfältiger auszuwählen.« Dann wies er mit ausgestreckter Hand in Richtung Burg. »Bitte tut, was Euch beliebt.«
Als Willow einen ungläubigen Desmond Richtung Hof zerrte, waren die jüngeren Pagen, die am häufigsten Opfer von Desmonds Tyrannei gewesen waren, die ersten, die das Schweigen brachen, indem sie begeistert jubelten. Und auch die Soldaten brachen kurz darauf in fröhliches Gelächter aus.
Hollis boxte Bannor spielerisch auf die Schulter: »Was zum Teufel hat sie vor?«
»Etwas, was ich bereits vor langem hätte tun sollen«, grunzte Bannor.
Ebenso gespannt darauf zu sehen, welches Schicksal seinem Sohn beschieden war, folge Bannor der Prozession. Als sie in den Hof kamen, strömten bereits die Dienstboten aus den umliegenden Gebäuden, um zu sehen, was der allgemeine Lärm bedeutete. Der Imker, der in die Nase gestochen worden war, als Desmond seine Stöcke umgestoßen hatte, klatschte ebenso begeistert in die Hände wie der Kerzenmacher, der, als Desmond hinter ihn getreten war und »Buh« gerufen hatte, in seinen Talgtiegel gefallen war. Auch die Dienstmägde, die gezwungen gewesen waren, sämtliche Laken noch einmal zu waschen, nachdem Desmond schmierige Erdklumpen gegen die frische Wäsche geschleudert hatte, brachen in vergnügtes Kichern aus.
Unter donnerndem Applaus marschierte Willow mit dem winselnden Jungen die Treppe zu der Plattform mit dem Galgen hinauf.
Aus Furcht, sie hänge den Jungen vielleicht tatsächlich auf, schob sich Bannor durch die Menge nach vorn. Doch sie zerrte Desmond am Galgen, am Stock und am Prügelpfosten vorbei in Richtung des Prangers, der im Allgemeinen für die Bestrafung harmloser Trunkenbolde, kleiner Diebe und ungezogener Bauernkinder benutzt wurde.
Sie zwang Desmond in die Knie, legte seine Finger in die Löcher, senkte ein zweites Brett über seine Knöchel und machte die Laschen schwungvoll fest.
Bannor lächelte. Sie hatte wirklich gut gewählt. Obgleich Desmonds Gefangenschaft vollkommen schmerzlos war, könnte er seine Finger, egal wie sehr er sich auch wandte oder wie laut er auch heulte, nicht aus den winzigen Löchern befreien.
Als sich Willow wieder aufrichtete, begegneten sich ihre Blicke über die Köpfe der applaudierenden Menge hinweg. Bannor legte als Zeichen seiner Würdigung ihres Triumphes kurz zwei Finger an die Stirn, und, ebenso erhaben im Sieg wie in der Niederlage, machte sie einen spöttischen Knicks.
Er riss seine Augen von ihr los und flüchtete geradezu gen Nordturm.
10
Willow vergrub ihre Zähne in dem Apfel, den sie dem Pagen abgenommen hatte, der ihn Desmond gegen den Kopf hatte schleudern wollen. Der Junge und seine Freunde hatten sich, nachdem sie von Willow entwaffnet und so des Vergnügens beraubt worden waren, ihren kreischenden Gefangenen mit angestoßenen Äpfeln und verrottetem Kohl zu bombardieren, murrend zum Gehen gewandt.
Als die Sonne allmählich hinter dem Westturm untergegangen und es merklich kälter geworden war, hatten sich auch die anderen Umstehenden verstreut, da sie das Schauspiel von Desmond, der Willow wütend anstarrte, und Willow, die den Jungen lächelnd ignorierte, zu langweilen begann. Inzwischen waren die beiden ganz allein, sodass durch die angespannte Stille entfernte Musik und fröhliches Gelächter aus dem großen Saal an ihre Ohren drang.
Desmonds Krähe
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