Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
Einfaltspinsel, der an Jahren, aber nicht an Weisheit gealtert ist.« Sie wandte sich ab, aber er sah sie noch schmerzlich das Gesicht verziehen.
Sie bereute die Beichte, die er ihr am Nachmittag abgerungen hatte, das wurde ihm plötzlich klar. Er hatte ihr Geheimnis enträtseln wollen, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, aber er hatte nicht gedacht, dass es ihr wehtun würde, sich zu offenbaren. Und erst recht nicht, dass ihn das kümmern würde.
Aber warum sollte es ihr wehtun? Selbst wenn sie bei ihrer Ankunft noch Jungfrau gewesen wäre, jetzt war sie es nicht mehr. Und ihre Geschichte war fast schon trivial. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass es nicht die Geschichte selbst war, die sie so verletzlich machte, so anfällig für unbeabsichtigte Verwundungen, sondern die Tatsache, dass sie sie erzählt hatte.
Er dachte an seine eigene Schwäche, wie weh es getan hatte, sie dem Menschen gegenüber einzugestehen, den er für den mitfühlendsten der Welt gehalten hatte – und mit welch stockenden Worten! -, um dann zurückgewiesen zu werden. Byron hatte damals keine Zurückweisung erwartet, Victoria rechnete jetzt mit einer.
Die er ihr nicht zumuten würde.
Er nahm sie am Kinn und drehte sie sacht zu sich. Ihre Augen blickten starr auf einen Punkt in der Mitte seiner Brust, und es schien sie unendliche Kraft zu kosten, den Blick zu heben. Er konnte sehen, wie sehr es sie anstrengte, ihren neutralen Gesichtsausdruck zu wahren, doch der Schmerz in ihren Augen reichte aus, ihn zu rühren. Vorsichtig jetzt , ermahnte er sich. Wenn er auf ihre Bedürfnisse reagierte und nicht auf ihre Worte, flüchtete sie sich vielleicht in den tiefsten Winkel ihres Inneren, wo er sie nie mehr erreichen konnte.
Er konnte nicht länger bestreiten, dass die Aussicht, sie zu verlieren, ihm Angst machte, also wählte er seine Worte mit Bedacht.
»Sie sind klug genug, Fehler, die Ihnen in der Vergangenheit unterlaufen sind, zu erkennen, was mehr ist, als die meisten von uns vermögen.«
Ihr Lächeln war so matt, das es fast unsichtbar war, aber die Anspannung wich ein wenig aus ihrem Gesicht. »Und Sie?«
»Ich halte mich gern für klug. Obwohl ich weiß, dass es eine Selbsttäuschung ist. Aber sie ist mir wichtig genug, um an sie zu glauben.« Und jetzt zum Kern der Sache. »Kommen Sie, Circe. Nicht so finster! Ihre Geschichte ist bei mir sicher, und ich halte sie für unglücklich, nicht für tadelnswert. Wir alle sind Narren, wenn es um die Liebe geht.« Er pausierte, wollte den Schmerz aus ihren Augen und die Falten von ihrer Stirn vertreiben. »Eine Geschichte für eine Geschichte. Ich war einmal schrecklich in eine Pfarrerstochter verliebt und habe mich ihretwegen höchst lachhaft benommen. Ich war älter, als Sie es waren, als Sie Ihre Torheit begingen – auch älter als Ihr Verlobter, muss ich leider gestehen, aber jünger an Erfahrung. Ich hatte das Anwesen meiner Eltern kaum je verlassen. So war ich, im Alter von zweiundzwanzig, eher ein Junge als ein Mann, und ein einnehmendes schwarzhaariges Mädchen mit einer hübschen Art und einem süßen Lächeln konnte aus mir einen Liebeslieder singenden, Briefe schreibenden Narren machen.«
Victorias Miene entspannte sich zu einem echten, wenn auch kleinen Lächeln. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich eigentlich auch nicht, aber ich kann mich gut daran erinnern.« Er verfiel in Schweigen, und in seiner Erinnerung erklang eine andere Stimme, ein anderes Lachen, ein anderes Seufzen. Charlotte Littlewood war freundlich, süß und aufrichtig gewesen, wenn auch sehr behütet und nicht allzu klug. Eine gute Partie für den Jungen, der er gewesen war; auch wenn der Mann, der er jetzt war, sie fade gefunden hätte.
»Und was ist aus Ihrer rabenschwarzen Muse geworden?«
Die Frage holte ihn abrupt in die Gegenwart zurück. »Ihr Vater war dagegen, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass ein künftiger Herzog noble Absichten haben konnte – ich versichere Ihnen, sie hätten nicht nobler sein können. Aber das hätte mich nicht aufhalten können, hätte sie meine Gefühle erwidert.« Sein Lächeln war bitter. »Aber das hat sie nicht. Ihr Lächeln hätte mir genügt, aber sie hat es mir nicht geschenkt. Sie hatte Angst vor mir und konnte mich nicht lieben. Sie hat sich mit einem anderen Mann verlobt, und ich habe mir mein Vergnügen in London gesucht.« All das stimmte, doch er hatte weggelassen…, dass Charlotte durchaus geschwankt hatte und ihre anfängliche
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