Rebellin unter Feen
Zwei Löffel für die erste Tasse, einen für die zweite, keinen für die dritte – Pauls Tasse.
Beatrice füllte den Teekessel, schaltete ihn ein und ging aus dem Zimmer. Klinge wusste, dass sie bald wiederkommen würde. Sie zog das Fläschchen heraus, das Amaryllis ihr gegeben hatte, schlüpfte durch das Fenster und sprang auf die Arbeitsplatte hinunter.
Unschuldig stand Pauls Tasse vor ihr. Klinge zwang sich, nicht über das, was sie tat, nachzudenken. Sie zog den Stöpsel aus dem Fläschchen und neigte es über die Tasse. Ein purpurroter Faden tropfte heraus, zeichnete eine dunkle Spirale in die Milch und verschwand.
Ich habe es getan, dachte sie erleichtert. Es ist vorbei. Ich kann gehen.
Doch die Beine verweigerten ihr den Dienst, und die Finger, mit denen sie das Fläschchen umklammerte, waren schweißnass. Ihr war heiß und schwindlig, und die Brust tat ihr weh, so heftig schlug ihr Herz dagegen.
Ich kann das nicht …
Aber ich habe es doch schon getan …
Es ist Mord …
Nein, Barmherzigkeit …
Er wird sterben, wenn ich es tue …
Wir sterben beide, wenn ich es nicht tue …
Klinges Finger ließen los, und das Fläschchen fiel ihr aus der Hand. Es schlug auf der Arbeitsplatte auf und zerbrach in tausend winzige, glitzernde Scherben.
Einen Augenblick lang stand Klinge wie gelähmt da. Sie spürte,den Schreck am ganzen Körper wie kleine Explosionen. Da lief sie in plötzlicher Entschlossenheit zu der Tasse mit der vergifteten Milch und stemmte sich mit der Schulter dagegen. Die Tasse begann zu kippen. Sofort flatterte Klinge zum Fenster zurück, schlüpfte hindurch und drückte sich draußen flach gegen die Mauer. Keuchend lauschte sie auf die näherkommenden Schritte der Frau und ihren Aufschrei, als sie die Scherben auf dem Küchenboden sah.
Liebst du ihn?, hatte Winka sie erst vor einigen Stunden gefragt. Klinge war sich ihrer Antwort nicht sicher gewesen. Konnte sie sich in einen Menschen verlieben, obwohl sie so klein war? Genauso gut konnte sie sich in einen Berg oder einen Baum verlieben. Doch sie brachte es nicht fertig, Paul McCormick etwas Böses zu tun, auch nicht im Namen der Barmherzigkeit. Lieber hätte sie sich das Herz aus der Brust gerissen.
Unter Aufbietung all ihrer Kraft klammerte sie sich an die raue Ziegelmauer. Eigentlich spielte es keine Rolle, warum sie Paul nicht getötet hatte – ob aus Liebe oder nur Treue. Ihr weiterer Weg war vorgezeichnet: Sie musste zur Eiche zurückkehren und das Schicksal auf sich nehmen, das die Königin und die große Gärtnerin für sie bestimmt hatten. Davor wollte sie allerdings ein letztes Mal Paul besuchen und ihn warnen.
Sie hatte geglaubt, er würde über ihr Kommen überrascht sein. Schließlich hatte sie sich in ihrem letzten Gespräch endgültig von ihm verabschiedet. Doch als er das Fenster öffnete, wirkte er nur traurig. »Du willst bestimmt dein Buch abholen«, sagte er, als sie zu ihm hineinkletterte.
»Mein Buch?«, fragte Klinge verwirrt. Dann fiel ihr Heides Tagebuch ein, und das Blut schoss ihr in die Wangen. Doch Paul sprach bereits weiter.
»Sieh mal, Klinge, ich hätte das heute Morgen nicht tun dürfen. Ich wusste ja nicht …« Er brach ab und wurde nun seinerseits rot. »Es war dumm von mir. Jetzt weiß ich es besser.«
»Paul? Ich bringe dir deinen Tee.«
Klinge sprang hastig hoch und duckte sich hinter den Vorhang. Im nächsten Augenblick ging die Tür auf, und Beatrice kam herein. »Gerade ist etwas Seltsames passiert«, sagte sie. »Vermeer schläft, und wir haben seit Monaten keine Mäuse mehr. Trotzdem fiel deine Tasse vom Küchentisch hinunter, während ich darauf wartete, dass das Wasser kochte.«
»Merkwürdig«, sagte Paul. Er klang ganz ruhig, aber man sah, dass seine Schultern sich versteift hatten.
»Sie ist in tausend Stücke zersprungen, dabei könnte ich schwören, dass ich sie nicht an den Rand gestellt habe.« Paul sagte nichts. Beatrice stellte den Tee an seinem Ellbogen ab, beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Du hast einen anstrengenden Tag hinter dir, Schatz. Geh früh schlafen.«
»Mach ich. Danke für den Tee.«
Paul klang höflich, aber Mrs McCormick schien zu spüren, dass er allein sein wollte. Sie seufzte leise, ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu.
Klinge kam aus ihrem Versteck. Sie wollte etwas sagen, aber Paul kam ihr zuvor.
»Warst du das mit der zerbrochenen Tasse?«
Klinge zuckte zusammen. »Ja.«
»Ist es versehentlich
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