Rebellion des Herzens
Meine Frau hat schon genug wegen ihres Sohnes gelitten. Ich will nicht, daß all diese Erinnerungen ohne guten Grund wieder aufgewühlt werden.«
Angel nickte, unfähig, deswegen zu streiten. Er brauchte nicht mit ihr zu sprechen. Er brauchte überhaupt nichts von ihr. Nur ein Blick war alles, was er wollte, damit das Bild, das er von ihr hatte, nicht ganz so vage blieb. Und das war wahrscheinlich auch alles, was er bekommen würde, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie eine Frau, selbst eine Mutter, in dem Mann, der er geworden war, ein vier Jahre altes Kind wiedererkennen sollte.
Der Diener öffnete die Tür ein wenig weiter, damit Angel eintreten konnte. »Darf ich Ihnen Ihren Mantel abnehmen, Sir?«
Es war zu warm im Haus, um ihn anzubehalten. Angel wollte auf keinen Fall anfangen zu schwitzen und dadurch so wirken, als sei er nervös. Aber sobald er dem Diener seinen Mantel gegeben hatte, wanderten die Augen des Bankiers direkt zu seiner Waffe. Er hatte sich zwar gewaschen und ordentlich angezogen, hatte jedoch keinen Versuch gemacht zu verbergen, was er war oder woher er stammte. Wie gewöhnlich trug er Schwarz, bis hin zu einem neuen Halstuch, das er locker um seinen Hals gebunden hatte.
»Sind Sie ein Mann des Gesetzes?« wurde er gefragt.
»Nein.«
Das Stirnrunzeln kehrte zurück. »Es wäre mir lieber, wenn Sie dieses Ding da in meinem Haus nicht trügen.«
Angel machte keine Anstalten, seine Waffe abzulegen. »Wenn Sie gut zu meiner Mutter gewesen sind, haben Sie nichts zu befürchten.«
Die Wangen des Bankiers wurden rot, aber er sagte nur steif zu seinem Diener: »Informieren Sie bitte meine Frau darüber, daß wir einen Gast haben. Sie möchte sich bitte im Ostsalon zu uns gesellen.«
Der Diener verschwand. Angel folgte seinem Gastgeber durch einen breiten Flur bis zu einer Tür auf der rechten Seite. Das Zimmer dahinter war groß und die Möbel so elegant, daß er es kaum wagte, sich hinzusetzen. Er war nervös – nein, ängstlich war wohl der treffendere Ausdruck. Noch nie in seinem Leben hatte er solche Angst gehabt. Eigentlich hatte er doch überhaupt nichts hier zu suchen. Er hätte sich besser betrinken sollen.
»Ich kann es nicht«, sagte er plötzlich. »Ich dachte, ich könnte es, aber – sagen Sie ihr … Nein, sagen Sie ihr gar nichts. Es ist besser, wenn sie nicht erfährt, was mir zugestoßen ist.«
»Wie ich es mir gedacht habe«, bemerkte Annas Ehemann mit genug Verachtung, um jemand anderen in den Erdboden versinken zu lassen. »Die meisten Ihresgleichen machen an dieser Stelle einen Rückzieher.«
»Ich werde Ihnen diese Bemerkung nicht übelnehmen, Mister, weil Sie im Interesse Ihrer Frau handeln, und ich bin froh zu wissen, daß sie jemanden hat, der auf sie achtgibt.«
Und Angel war nun wirklich großzügig, denn ihm war viel mehr danach zumute, klarzustellen, daß er schon aus geringerem Anlaß Männer getötet hatte, was zwar nicht der Wahrheit entsprach, aber in aller Regel dem Ärgernis ein abruptes Ende setzte. Sein Gegenüber nickte. Entweder akzeptierte er Angels Feststellung, oder er hatte nichts mehr hinzuzufügen.
Angel ging auf die Tür zu, und die Spannung begann bereits nachzulassen, kehrte jedoch sofort zurück, als plötzlich ein junges Mädchen ihm in den Weg trat. Sie war sehr schön mit ihrem schwarzen Haar, das ihr über die Taille floß, und ihren großen, grünen Augen – den Augen ihres Vaters. Sie konnte nicht älter sein als dreizehn. Eine Schwester, hatte Kirby gesagt, und Angel wußte instinktiv, daß er ihr in diesem Augenblick gegenüberstand.
Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals. Er schien nicht in der Lage zu sein, seinen Blick von ihr abzuwenden.
Auch sie sah ihn an, und ihre Augen leuchteten vor Neugier. Sie sah nicht einmal weg, als sie ihrem Vater mitteilte: »Mutter sagt, sie kommt sofort runter – und wer sind Sie, bitte schön?«
Sie sagte alles in einem einzigen Atemzug. »Angel«, entgegnete er, ohne nachzudenken.
»Im Ernst? Ich habe einen Bruder namens Angel, obwohl ich ihn nie kennengelernt habe. Ich habe noch eine ganze Menge anderer Brüder, aber Mutter sagt, ein Mädchen kann nie zu viele Brüder haben, die auf sie aufpassen.«
Angel konnte sich nicht vorstellen, daß er auf eine Schwester aufpaßte. Das Ende vom Lied wäre wahrscheinlich, daß er reihenweise Leichen zurücklassen würde, falls jemand sie auch nur schief ansehen sollte, und er konnte sich nicht vorstellen, daß diese Stadtmenschen dafür
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