Rebellion des Herzens
besonders dankbar wären.
»Ich heiße Katey«, fuhr sie fort und fragte wieder einmal im selben Atemzug: »Sind Sie mein Bruder?«
Die Frage ging wie Stahl durch Angel hindurch, scharf und schmerzhaft. Er wußte nicht, was er ihr antworten sollte. Die Wahrheit? Sie würde ihn für alle Zeiten verpflichten. Aber auch ein bisher leerer Teil seines Lebens wäre ausgefüllt.
Der Bankier gab ihm keine Chance, dieses Wort auszusprechen.
»Du hast deine Botschaft überbracht, Katey; jetzt geh bitte wieder auf dein Zimmer.«
»Aber …«
»Du müßtest eigentlich wissen, daß du uns nicht auf die Nerven fallen darfst, wenn wir Besuch haben.«
Seine Stimme klang nicht besonders streng. Wenn überhaupt etwas darin mitschwang, war es eine übergroße Zärtlichkeit, die Angel verriet, daß das Mädchen aufrichtig geliebt wurde. Sie verließ das Zimmer mit einem »Ja, Sir« und nur der winzigen Andeutung eines Schmollmundes.
»Ich danke Ihnen, daß Sie meiner Tochter keine Antwort gegeben haben«, hörte Angel hinter sich. »Die Kleine ist so leicht zu beeindrucken. Sie hätte Ihnen geglaubt.«
Die Wahrheit geglaubt? Warum nicht. Aber Angel sagte es nicht, sagte überhaupt nichts. Noch einmal ging er auf die Tür zu. Wäre das verdammte Zimmer nicht so groß gewesen, hätte er sich schon längst aus dem Staub gemacht …
Aber er schaffte es nicht. Sie stießen an der Tür zusammen, weil sie beide zu hastig darauf zugegangen waren. Er mußte sie festhalten, damit sie nicht hinfiel, und hörte sie keuchen und dann lachen. Aber sie hatte bisher noch nicht aufgesehen. Sie war tatsächlich eine sehr kleine Frau und reichte ihm kaum bis ans Kinn. Ihr Gesicht brauchte er gar nicht zu sehen. Dieses Lachen verriet ihm alles, ein Klang, der ihm so vertraut war, als hätte er ihn erst gestern gehört.
Sie war es, und mit ihr kehrten auch die Erinnerungen zurück – Erinnerungen an sanftes Schelten, an Umarmungen und Küsse, Gute-Nacht-Geschichten und die Tränen, als sein Vater gestorben war und sie es ihm sagen mußte; und an Liebe, so viel Liebe. Er konnte nicht mehr atmen, so groß war der Klumpen in seiner Kehle geworden. Seine Hände krampften sich um ihre Arme, diese Bewegung ließ sie aufsehen, und es war nur gut, daß er sie noch nicht losgelassen hatte, denn sie wurde plötzlich so weiß, daß er befürchtete, sie könne in Ohnmacht fallen.
»Cawlin?« hauchte sie fast atemlos, und Angel wußte, daß sie glaubte, einen Geist zu sehen.
Er antwortete nicht. Kein einziges Wort kam an diesem Kloß in seiner Kehle vorbei. Es war ihr noch nicht in den Sinn gekommen, daß sie den Sohn und nicht seinen Vater sah, und er sollte besser gehen, bevor ihr das klar wurde. Aber er konnte sich nicht bewegen. Er konnte sie nicht einmal loslassen. Er wollte sie immer fester an sich ziehen, aber er hatte auch Angst, Angst, sie zu erschrecken, Angst, sie vielleicht nie mehr loszulassen.
Die Dinge, die er empfand, schnürten ihm die Kehle zu. Plötzlich wünschte er sich, Cassie wäre da, um sich einzumischen und die Dinge auf ihre Art in Ordnung zu bringen, denn er hatte sich noch nie so hilflos und unsicher gefühlt wie in diesem Augenblick. Statt dessen war der Bankier da, um sie voneinander zu trennen und Anna ins Zimmer und zu einem Stuhl zu führen. Angel bewegte sich immer noch nicht. Er sollte zusehen, daß er schleunigst aus diesem Haus verschwand, aber seine Füße wollten ihm nicht gehorchen, und seine Augen wollten sich nicht von seiner Mutter abwenden.
Sein Bild von ihr mochte zwar in einundzwanzig Jahren verblaßt sein, kehrte jetzt jedoch mit aller Deutlichkeit zurück, weil sie sich in dieser Zeit so wenig verändert hatte. Und die Dinge, an die er sich nun erinnern konnte, die vielen Kleinigkeiten, die er vergessen hatte … Sie hatte ihn nicht aus Unachtsamkeit verloren, sie hatte ihn mit einem Übermaß an Fürsorge aufgezogen, weil er alles gewesen war, was ihr geblieben war – damals. Aber jetzt lebte sie im Kreis einer neuen Familie, und er gehörte nicht dazu.
Furcht brachte seine Füße schließlich dazu, sich zu bewegen, Furcht vor Zurückweisung und dem Schmerz, der damit einherging. Das war das einzige, womit er noch nie besonders gut hatte umgehen können, und er würde nicht ausgerechnet jetzt anfangen, das zu versuchen.
Er hatte bereits mit einigen langen Schritten den Flur durchquert, bevor er bemerkte, daß an der Haustür ein Hindernis in Form seiner kleinen Schwester auf ihn wartete. Katey lehnte
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