Rebellische Herzen
viel größer als sie, gesegnet mit Selbstvertrauen, einem schönen Gesicht, Geld und Männlichkeit, in einer von Männern beherrschten Welt. Sie glaubte wieder, zu ersticken und ein Schweißtropfen rann über ihre Wirbelsäule.
»Habe ich denn so Unrecht? Ist es in England nicht die Pflicht eines Mannes, sich um seine weiblichen Verwandten zu kümmern?«
Wie sie es hasste! »Üblicherweise unterstützen Männer ihre Töchter, aber es wird nicht erwartet, dass sie ihre Tanten und Nichten versorgen. Das wäre eine zu große Bürde.«
»Für einen armen Mann, ja. Ich sehe Mädchen in diesem Haus arbeiten und verstehe, dass sie zum Unterhalt ihrer Familien beisteuern müssen. Aber Ihr Onkel ist ein wohlhabender Mann.«
»Wohlstand ist ein relativer Begriff. Alle Besitzungen meines Vaters wurden dem nächsten männlichen Erben übertragen -«
»Ihr Vater war der älteste Sohn und Earl vor dem gegenwärtigen Porterbridge.«
jetzt schikanierte er sie. Er wollte unbedingt die Wahrheit erfahren, aber sie antwortete nur höflich: »ja, deshalb bin ich Lady Charlotte.«
»Alles Geld und alle Ländereien fielen an Ihren Onkel. Ich begreife immer noch nicht, weshalb Sie sagen, er sei nicht wohlhabend.«
»Er ist sehr wohlhabend und sehr … er hat viele Kinder.«
»Ah.« Wynter nickte. »Er ist also sehr potent.«
Sie stieß hervor: »Woran liegt es, dass ein Mann als potent gilt, wenn viele Kinder da sind, aber die Frau als unfruchtbar, wenn die Ehe kinderlos bleibt?« Dann schloss sie angewidert die Augen. Welcher Wahn ließ sie aussprechen, was sie sich seit jeher gedachte hatte? Meine Güte, nahm Wynter jetzt an, er könne wegen ihres schlechten Beispiels nach seinem Belieben das Thema Fruchtbarkeit erörtern? Als sie die Augen öffnete, sah sie ihn ernst an. »Das war äußerst ungehörig von mir. Bitte merken Sie sich, dass man in Gesellschaft nicht über … ah …«
»Das Kindermachen sprechen soll?«, bot er hilfsbereit an.
»Fruchtbarkeit«, sagte sie fest. »In guter Gesellschaft spricht man aus keinem Anlass über die Fruchtbarkeit eines Mannes oder einer Frau.«
»Lady Miss Charlotte, was würde nur aus mir ohne Ihre Anleitung?«
Machte er sich etwa über sie lustig?
Bevor sie ihn fragen konnte, kam ihm ein Einfall. »Sie untersagen mir, für Sie Verantwortung zu übernehmen. Sie sagen, Sie seien in der Lage, auf eigenen Beinen zu stehen, ohne die Führung durch einen Mann. Wenn ich Ihre Geschichte kennen würde, würde ich Ihnen vielleicht zustimmen.«
Es ging ihr schlagartig auf. »Sie halten mich als Geisel!« Sie griff nach der Tür.
Er fing ihren Arm ab und hielt ihn fest. Nicht so fest, dass er ihr wehtat, aber er ließ sie auch nicht gehen. »Lady Miss Charlotte, ich möchte wissen, warum Sie so allein sind.«
Sie hätte seinen Gesichtsausdruck sofort wiedererkennen müssen. Sie hatte ihn oft genug gesehen. Seit Wynter gestern aus London zurückgekommen war, stellte er ihr nach, nicht weil er sie begehrte, sondern aus vulgärer Neugierde. Jemand in London hatte getratscht. »Ich könnte wetten, dass Sie es bereits wissen.«
»Ich bekomme nicht genug von Ihnen, Lady Miss Charlotte. Er beobachtete sie hungrig. »Ich bekomme nie genug von Ihnen.«
Jetzt hechelte er nach Einzelheiten. Und was machte es schon für einen Unterschied? Er wollte es wissen. Sie würde es ihm sagen. Dann würde er sie vielleicht ihre Arbeit tun lassen.
Sie zog ihren Arm mit einem heftigen Ruck aus seiner Umklammerung, setzte sich in die Bank zurück und kreuzte die Arme über dem Bauch. Sie lächelte nicht. »Was wollen Sie hören? Alles? Oder nur Auskünfte über meinen schändlichen Weggang von Porterbridge Hall?«
Er lehnte sich vor, als befürchtete er immer noch, dass sie ausreißen werde. »Ich denke, alles.«
Sie sah auf ihre verkrampften Finger hinunter und bog sie geistesabwesend gerade. »Ich war ein Einzelkind und sehr verwöhnt. Ich hatte eine Amme, eine Kinderfrau, eine Gouvernante und viele Spielsachen für mich allein. Die Korridore von Porterbridge Hall gehörten mir. Mit meinem Pony konnte ich über meine Ländereien reiten.« Ihre Kindheit war wirklich eine goldene Zeit gewesen. Und sie konnte über diese Jahre nur mit einer monotonen Stimme sprechen, die sie von ihren Erinnerungen trennte. Denn wenn sie die Erinnerungen zuließ …
Sie würde sich nicht erinnern. »Mama und Papa wurden vom Blitzschlag getötet, als ich elf Jahre alt war.«
Wynter versuchte, ihre Hand zu nehmen, aber sie
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