Rebellische Herzen
schreckte zurück. »Sie wollten es wissen. Sie können es wissen. Nur berühren Sie mich bitte nicht.«
Er mochte das nicht, so viel konnte sie sehen. Seine breite Stirn kräuselte sich und die Haut um seine Narbe wurde weiß.
Doch wie erwartet tat er nichts, was die Fortsetzung dieser einnehmenden Klatschbeichte gefährdete, jedenfalls nicht bevor sie ihm den letzten saftigen Bissen serviert hatte.
Sie hielt seinem Blick stand bis er nickte und sich zurücksetzte. Dann fuhr sie fort: »Das Land gehörte mir nicht mehr. Das Herrenhaus gehörte mir nicht mehr. Mein Onkel und seine Familie zogen ein, und sie waren so viele. Sie sagten, ich bräuchte kein Kinderzimmer, ich sei kein Baby mehr, und legten ihre Kinder in die Wiege, in der ich meine Puppen schaukelte. Die Älteren nahmen das Spielzimmer in Besitz. Mein Onkel sagte, er bräuchte kein Spielzeug mehr zu kaufen, weil ich so viel hätte. Meine Kinderfrau und meine Gouvernante kündigten. Onkel wollte ihnen für die Erziehung und Pflege aller seiner Kinder nicht mehr bezahlen, als sie für mich allein bekamen. Ich musste meine Schlafkammer mit zwei meiner Vettern teilen. Einer war Bettnässer. Sie rauften sich. Es gab keinen Platz, an dem ich allein sein konnte und niemand kümmerte sich um mich.« Das klang ein wenig nach Selbstmitleid, deshalb fügte sie hinzu: »Wie sollten sie auch? Sie kümmerten sich ja nicht einmal umeinander.«
Wynter streifte seine Handschuhe ab und warf sie zur Seite. »Was haben Sie getan?«
»Getan?«
»Haben Sie Wutanfälle bekommen? Haben Sie Ihr Spielzeug zurückverlangt?«
»Nein. Natürlich nicht. Ich war so verwirrt … Ich schaue zurück und denke, armes Kind. So verwirrt. An der Schwelle zum Frau werden und niemand -« Sie schloss den Mund. Sie wollte ihm keinen Einblick in das verstörte Mädchen geben, das sie gewesen war. Er würde es zu sehr genießen, dieses Wiederkäuen ihres Schmerzes. Alle genossen es, alle, die nach Skandalen gierten.
»Sie waren verängstigt.«
Sie ließ sich von seinem weichen Tonfall und seinen freundlichen Augen nicht zum Narren halten. Das hier war ein Verhör der brutalsten Art. »Von allem und jedem«, stimmte sie schroff zu. »Ich denke, das hat die ganze Familie gegen mich aufgebracht. Sie brüllten, trampelten, schlugen und bekämpften sich gegenseitig. Ich habe dieses Verhalten nie verstanden. Ich wusste nicht einmal, wie man sich so aufführen konnte.«
»Verstehen Sie es heute?«
»Ich habe in vielen verschiedenen Familien gelebt. Manche sind glücklich, andere nicht. In manchen geht es turbulent zu, in anderen weniger. Manche machen es sich zur Aufgabe, einander unglücklich zu machen – so wie die meines Onkels. Ich
verstehe
es nicht, aber ich weiß doch, dass es so ist.«
»Ich denke, meine Familie ist glücklich«, sagte er nachdenklich. »Jedenfalls ist meine Mutter glücklich, uns wieder zu Hause zu haben. Und die Kinder werden glücklich sein, wenn sie sich eingelebt haben. Denken Sie das nicht auch, Lady Miss Charlotte?«
»Ich denke, Ihre Kinder sind bezaubernd.«
»Wollen Sie nicht wissen, ob ich glücklich bin?«
Sie wollte lächeln, aber ihr gelang nur ein sperriges Krümmen der Lippen. »Sie müssen glücklich sein, Mylord. Sie müssen geradezu hingerissen sein.«
Ihr Spott gefiel ihm nicht und sein Akzent verschärfte sich. »Noch … nicht.«
Sie rollte ihre Zehen in den Schuhen ein und übte sich widerwillig in Zurückhaltung. Sie hielt das für klüger, denn er war immer noch ein Barbar. »Ich versuchte, mich unsichtbar zu machen. Ich tat, was immer meine Tante oder mein Onkel mir auftrugen, aber die anderen Kinder haben mich in Schwierigkeiten gebracht, wo sie nur konnten. Also brüllte Onkel mich an und ich hasste das. Das Problem war, dass er Papa so ähnlich sah. Aber Papa war Papa. Er hatte meine Mutter geliebt und er hat mich geliebt. Falls der gegenwärtige Earl of Porterbridge jemanden liebt, dann verbirgt er das gut. Er hat ein Gemüt, das sich wie rasende Zahnschmerzen anfühlt.«
Sie hörte auf zu sprechen, und Wynter realisierte schlagartig, dass sie nicht die Absicht hatte, ihm den Rest der Geschichte zu erzählen. Er war wie benommen. Er war sehr mitfühlend und einsichtsvoll, und sie sprach doch mit ihm, ihrem Seelengefährten, dem Mann, der sie heiraten würde. Sie wusste es noch nicht, aber sie sollte wenigstens wissen, dass sie ihm vertrauen konnte.
Nichtsdestotrotz würde er ihr keinen Vorwurf machen. Sie war verletzt worden –
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