Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
wieder auf und ging hinein. Auf einem Stuhl lagen einige zusammengefaltete Kleidungsstücke und darunter eine Handtasche. Als die Ärztin die Tasche herauszog, bemerkte Rebus etwas: eine flache weiße Pappschachtel.
Eine weiße Pizza-Pappschachtel. Die Kleidung: schwarze Jeans, schwarzer BH, rotes Satin-Hemd. Ein schwarzer Dufflecoat.
»John?«
Und schwarze Schuhe mit mittelhohen Absätzen und kantiger Spitze, die wie neu aussahen, abgesehen von den Schrammen, als seien sie über die Straße geschleift worden.
Jetzt war er im Zimmer. Sie hatte eine Sauerstoffmaske auf. An der Stirn Platz- und Schürfwunden, die Haare aus dem Gesicht gestrichen. Ihre Fingerkuppen waren mit Blasen bedeckt, die Handflächen blutig gescheuert. Das Bett, auf dem sie lag, war eigentlich kein Bett, sondern eine breite stählerne Roll trage.
»Entschuldigen Sie, Sir, aber Sie dürfen sich hier nicht aufhalten.«
»Was ist los?«
»Dieser Gentleman -«
»John? John, was ist denn?«
Man hatte ihr die Ohrringe abgenommen. Drei kleine Nadelstiche, der eine röter als seine Nachbarn. Das Gesicht oberhalb des Lakens: violett verquollene Augen, eine gebrochene Nase, beide Wangen aufgeschürft. Geplatzte Lippe, ein Kratzer am Kinn, Augenlider, die nicht einmal flatterten. Er sah ein Verkehrsopfer. Und hinter all dem sah er seine Tochter.
Er stieß einen Schrei aus.
Clarke und Redpath mussten ihn, unterstützt von Claverhouse, der den Lärm gehört hatte, gewaltsam hinausschleifen.
»Tür auflassen! Ich schlag Sie tot, wenn Sie diese Tür zumachen!«
Sie versuchten, ihn zum Hinsetzen zu bewegen. Redpath zog sein Buch noch gerade rechtzeitig vom Stuhl weg. Rebus riss es ihm aus der Hand und warf es quer durch den Flur.
»Wie konnten Sie lesen , verdammte Scheiße!«, stieß er hervor. »Das ist Sammy , die da drin liegt! Und Sie hocken hier draußen und lesen!«
Clarkes Becher war umgeschmissen worden, und als Rebus Redpath einen Stoß verpasste, rutschte dieser in der Kaffeepfütze aus und fiel hin.
»Können Sie die Tür festklemmen, dass sie offen bleibt?«, fragte Claverhouse die Ärztin. »Und hätten Sie vielleicht ein Beruhigungsmittel?«
Rebus fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, heulte ohne Tränen, heiser und verständnislos. Als er an sich hinunterstarrte, sah er das lächerliche T-Shirt und wusste, dass es das war, was er von dem Abend in Erinnerung behalten würde: das Bild eines Iron-Maiden-T-Shirts mit einem grinsenden grelläugigen Dämon drauf. Er riss sich das Jackett vom Leib und fing an, am T-Shirt zu zerren.
Sie befand sich hinter dieser Tür, dachte er, und ich war hier draußen und plauderte locker vom Hocker. Sie hatte die ganze Zeit da drin gelegen, so lange er im Krankenhaus war. Da machte es zweimal klick: ein Verkehrsunfall mit Fahrerflucht; das Auto, das von der Flint Street davongeschossen war.
Er packte Redpath.
»Oben auf der Minto Street. Sind Sie sicher?«
»Was?«
»Sammy... oben auf der Minto Street?«
Redpath nickte. Clarke wusste sofort, woran Rebus dachte.
»Ich glaub nicht, John. Die sind in die entgegengesetzte Richtung gefahren.«
»Könnten kehrtgemacht haben.«
Claverhouse hatte einen Teil des Gesprächs mitbekommen. »Ich hab grad telefoniert. Die Typen, die es Danny Simpson besorgt haben - wir haben das Auto gefunden. Weißer Escort, auf dem Argyle Place stehen gelassen.« Rebus sah zu Redpath. »Weißer Escort?«
Redpath schüttelte den Kopf. »Laut Augenzeugen ein dunkles Fahrzeug.«
Rebus drehte sich um, stand mit dem Gesicht zur Wand, die Hände flach dagegen gedrückt. Als er auf den Anstrich starrte, war es so, als könnte er in die Farbe hineinsehen .
Claverhouse legte ihm eine Hand auf die Schulter. »John, ich bin sicher, dass sie wieder gesund wird. Die Ärztin holt Ihnen ein paar Tabletten, aber wie wär's einstweilen damit?«
Claverhouse mit Rebus' Jackett in der Armbeuge, dem Flachmann in der Hand. Die kleine Selbstmordbombe.
Er nahm Claverhouse die Flasche ab. Schraubte den Verschluss ab, ohne den Blick von der offenen Tür zu wenden. Führte die Flasche an die Lippen.
Trank.
Zweites Buch
»In the Hanging Garden / No one sleeps.«
Ein Urlaub am Meer: Wohnwagenpark, lange Spaziergänge und Sandburgen. Er saß in einem Liegestuhl und versuchte zu lesen. Ein kalter Wind, trotz der Sonne. Rhona rieb Sammy mit Sonnenmilch ein, meinte, man könne nicht vorsichtig genug sein. Sagte, er solle das Kind im Auge behalten, sie würde eben zum Wohnwagen
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