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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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monatelang im Schaufenster hängt, daneben eine aus der Zeitung ausgeschnittene Traueranzeige. Die Brezel war abmontiert worden, sie hatte zugesehen, ein Laden für Elektrogeräte hatte eröffnet, Erikas neuen Fernseher hatten sie dort gekauft. Sie brauchte nichts Elektrisches, sie brauchte Brot, ging dennoch näher, das Schaufenster fehlte, keine Staubsauger, Mixer, Musikanlagen, stattdessen zwei Schiebetüren, zwei Reihen Einkaufswagen und viel Licht, richtig, die Drogerie. Die Türen fuhren auseinander, kurz überlegte Elsa, ob sie reingehen sollte, Brot gab es sicher keins, Kekse vielleicht.
    Der junge Appelt war nach Westdeutschland gezogen, in eine Seniorenresidenz in der Nähe der Kinder. Er hatte sie damals angerufen. »Es ist aus«, hatte er sie begrüßt, und dass »die Asier«, so nannte er sie, den Markt kaputtgemacht hätten. Sie hörte seinen Drehstuhl durch das Telefon knarren, sobald er sich bewegte. Am Ende hatte der junge Appelt nur noch importiert, nicht mehr hergestellt. Der Zucker gäbe ihm den Rest, er hatte atemlos geklungen, wie immer, auf drei Zentner schätzte sie ihn.
    Eine Zeit lang ist sie ein dummes Ding gewesen, das sich nicht davon abhalten kann, über ihn nachzudenken, beim Bügeln, beim Abwaschen. Einen blauen glockenweiten Rock kauft sie, für ein halbes Monatsgehalt, legt Kölnisch Wasser auf, ehe sie ins Büro geht. Erika summt den Hochzeitsmarsch, wenn sie auf ihn zu sprechen kommt.
    Ob sie irgendwas haben wolle aus dem Büro, zur Erinnerung vielleicht, fragte er am Ende des Gesprächs. Sie hatte an die Regalwände gedacht, die Leitern, die lange festgerosteten Rollen, »nein«, hatte sie geantwortet. Das Windei hatte der alte Appelt den jungen Appelt genannt.
    Der Juli ’45 war heiß. Auf den Boden hat sie sich gesetzt, in den Schatten einer Auffahrt. Der alte Appelt zieht einen Karren, gebückt, an ihr vorbei, auf dem Karren liegen Ballen, rotes Wachstuch. Das eine Hinterrad bleibt an der Schwelle hängen, die Deichsel knirscht, der alte Appelt lehnt sich mit seinem Gewicht dagegen. Der Karren schnellt vorwärts, als das Rad freikommt, macht einen Satz, die Ballen rutschen hinten runter. Sie springt auf, streckt die Arme aus, will sie auffangen, das Wachstuch, glatt in ihren schwitzigen Händen, gleitet zwischen ihren Fingern durch. Staubwölkchen steigen an den Seiten auf, als die Ballen zu Boden fallen, legen sich grau auf ihre feuchten Knöchel. Sie schiebt die Ballen mit dem alten Appelt wieder auf den Karren.
    »Ich brauch Arbeit«, sagt sie.
    »Brauchen alle«, der alte Appelt wischt die Hände an der Hose ab, greift nach der Deichsel, hält inne. »Kannste Seidenblumen«, fragt er.
    Sie nickt, freches Ding, hat natürlich keine Ahnung, nur Hunger.
    »Was sind Griffel?«
    »Die Dinger mit dem Staub.«
    Er wendet sich ab, hebt die Deichsel.
    »An denen der Blütenstaub anhaftet«, korrigiert sie sich, Schulbuchwörter, lange verschüttet.
    Er schüttelt nicht mal den Kopf, dreht sich um, lehnt sich in die Deichsel, der Wagen setzt sich in Bewegung.
    Im Weggehen sagt er, »wenn du Brot willst, feg die Halle«.
    Sie muss sich melden, der alte Appelt besteht darauf, wegen der Lebensmittelkarten und damit alles seine Ordnung hat. In der Meldestelle sehen sie nur das Geburtsdatum an.
    »Waise bist du«, wird sie belehrt, »Kriegswaise.« Zum Roten Kreuz muss sie oder zur Fürsorge.
    Bei der Fürsorge sitzt ein Mädchen hinter dem Schreibtisch, kaum älter als sie, stämmig, die Haare so kurz, dass sie lediglich die Spitzen ihrer Ohren bedecken, der fleischige Hals sehr nackt. Das Mädchen steht auf, als sie hereinkommt, streckt ihr über den Schreibtisch die Hand entgegen.
    »Sag Erika, nicht Frau Krause.«
    »Ich will in kein Heim«, antwortet sie, »ich hab Arbeit.«
    Zum Vormund bestellt , so steht es in dem Bescheid, den sie zwei Wochen später abholt, wird Friedrich Appelt .
    ***
    Der Schlüssel landete auf der blanken Konsolenoberfläche, Klavierlack, rutschte noch ein Stück, Vorsicht Kratzer. Claas hatte nicht hingesehen, die Haustür hinter sich zugezogen, in den Garderobenspiegel geblickt, der Helm hatte seine Haare flachgedrückt. Er hatte den Schlüssel in die Schale werfen wollen, Treibholz, aus einem Stück gearbeitet, doch die Schale war weg. Kleiderbürste und Schuhschwammset, viereckig und rot, japanischer Lack, das neben die Schale gehörte, ebenso.
    Claas ging weiter, vorbei an dem hellen Fleck auf dem Parkett, geformt wie ein Ei, der Umriss des

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