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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Vor dir auf den Dielen steht das Telefon, nimmst von Zeit zu Zeit den Hörer ab, hältst ihn in der Hand, hörst dem Freizeichen zu. Legst wieder auf, Hanne hat angerufen.
    »Du brauchst heute nicht kommen«, hat sie gesagt, »ich melde mich, wenn ich einen Neuen für dich habe.« Hast zur Decke gesehen, zu den staubummantelten Spinnenweben, die in der Heizungsluft schwangen. »Nimm es nicht persönlich. Manchmal wollen sie was anderes«, hat Hanne gesagt.
    Jetzt willst du ihm wehtun. Nicht kalt und kontrolliert, willst schreien und zittern, auf seinen Händen stampfen, an seinen Haaren reißen, bis die Stelle faustgroß ist, Rippen sollen nachgeben unter deinen Stiefeln, seine Oberschenkel weich und gummiartig unter den Hacken. Zu spät, zu spät.
    Als du Lucas’ Schlüssel in der Tür hörst, läufst du zum Sofa, nimmst die Decke, ziehst die Knie an die Brust, das Kissen auf dein Gesicht.
    »Hallo«, er bleibt im Flur stehen, nicht atmen, denkst du, wartest, bis er in die Küche geht. Hörst dem Besteck zu, es stößt metallisch aneinander, eine Tüte knistert, Lucas hat das Brot gefunden, er öffnet die Kühlschranktür.
    Schließt die Augen, stehst vor seiner Tür, schwarz und glänzend. Gehst vorbei an seiner Frau, seinen gymnasialen Kindern, bist sicher, dass er welche hat. Packst seine Krawatte, drückst ihn hinab, bis er kniet. Stehst breitbeinig, nicht in seinem Kopf, sondern in seinem Wohnzimmer. Willst ihm erklären, dass es deine Pflicht ist, ihm gut zureden, wenn er keucht.
    Die Beine eines Küchenstuhls schrammen über die Dielen, Lucas stellt etwas in die Spüle, dreht kurz das Wasser auf.
    Auf dem Weg ins Bad bleibt er an der offenen Wohnzimmertür stehen. Nicht bewegen, hörst seine Schritte, er kommt näher. Erschrickst, als sich die Decke weich auf dich legt, hoffst, dass er dein Zucken nicht bemerkt hat. Er zieht die Decke über deine Füße, im Hinausgehen schaltet er das Licht aus.
    ***
    Nicolai sah dem Salz zu, es rieselte von seiner Handfläche ins Wasser, eine diesige Wolke stob am Topfboden auseinander, silbrige Schlieren setzten sich ab. Die kleben gebliebenen Körner rieb er über der Spüle von der Haut, nahm die Flasche mit dem Olivenöl vom Regal. Gelbe Tropfen fielen ins Wasser, tauchten unter, stiegen wieder auf, bildeten zwei Inseln, die auf der Oberfläche schaukelten. Er legte den Deckel auf, öffnete das Glas mit der Sauce, Arrabbiata, und kippte sie in den zweiten Topf.
    Nein, so ging es nicht.
    Sie waren zu ihr gefahren, mit der U-Bahn, das taten sie sonst nicht. Er war zuerst eingestiegen, hatte sich mit dem Rücken an die Seitenabtrennung neben den Türen gelehnt, Camille war vor ihm stehen geblieben. »Blöde Kuh«, hatte einer der Einsteigenden gesagt, während er sich an ihr vorbeidrängte. Camille hatte ihn angesehen, als erwarte sie, dass er etwas tun würde, sagen würde. Er hatte nach ihrer Jacke gegriffen, den Stoff des Aufschlags zwischen zwei Finger genommen und sie nach vorn gezogen, näher an sich heran. »Geh doch zur Seite«, hatte er gesagt. Camille war einen Schritt zurückgetreten, hatte die Jacke weggezerrt, »ich setze mich hin«.
    So weit war noch alles o.k.
    Sie hatte einen Platz in seinem Rücken genommen, warum fahren wir zu ihr, hatte er gedacht. Sie waren schweigend nebeneinander aus dem Café getreten, vor der Tür nach rechts gegangen, als wäre es selbstverständlich, zum U-Bahnhof, der Zug kam, als sie die Treppe hinabstiegen.
    Nicolai hängte das Sieb in die Spüle, stellte zwei Teller, Gabeln, Löffel auf den Küchentisch, keine Gläser, er war nicht sicher, was sie trinken wollte. Vorsorglich schaltete er das Radio ein, »es ist so still«, sagte Camille sonst. War sie wach, hörte sie unentwegt Musik. Er fuhr den Rechner hoch, setzte sich an den Schreibtisch, öffnete irgendeine alte Datei, es sollte aussehen, als habe er gearbeitet.
    Er hatte erwartet, dass sie anrufen und, wenn er nicht ranginge, in einem Schlafsack auf seine Türschwelle ziehen würde.
    »Electrelane spielt heute Abend im Klangbad«, hatte er auf dem Weg von der U-Bahn zu ihrer Wohnung versuchsweise gesagt. Camille hatte genickt, er war nicht sicher gewesen, was das bedeutete.
    »Ich muss duschen«, sagte sie, sobald sie die Wohnungstür aufgeschlossen hatte. Er hatte nicht gefragt, ob er mitkommen könne, war in die Küche gegangen, Kaffee kochen.
    Bis dahin ging es auch noch.
    Auf dem Tisch hatte ein Stapel Abzüge gelegen, Nicolai hatte ihn zu sich herangezogen, rote

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