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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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in jede Hosentasche, in dein Portemonnaie. Knüllst die leeren Umschläge zusammen, wirfst sie in den Eimer. Den Schlüsselbund legst du zu den Geldscheinen auf den Küchentisch.
    An der Tür bemerkst du das Gewicht in deiner Jackentasche, das Handy, drückst auf die Tasten, das Display bleibt dunkel, Akku alle. Hattest es auf lautlos gestellt, als du nicht zur Schicht gegangen bist, die Backshop-Nummer, hatte ständig stumm geleuchtet, siebzehn verpasste Anrufe, als du später nachgesehen hast. Gehst zurück, legst es neben den Schlüssel, hast eh kein Guthaben mehr.
    ***
    Das Rührgerät war nicht in dem Schrank unter der Arbeitsplatte, Elsa stellte die Zitronenpresse wieder zurück, richtete sich auf. Sie verschwanden, die Dinge. Der Kehrbesen, ihr Bademantel, Fön, Bügeleisen, Sparschäler. Manche blieben unauffindbar, andere tauchten wieder auf, die Fernbedienung im Kühlschrank, neben der Packung mit dem Schnittkäse. Die Butterdose auf dem Telefontisch, abends lag sie mittig und sehr ordentlich auf dem Adressbuch. Das Nähkästchen in der Wäschetruhe, halb in ein Laken gewickelt. Als würde ihr jemand einen Streich spielen, in die Wohnung kommen, heimlich und leise, ihre Sachen verstecken.
    Sie hatte Sahne aufschlagen wollen, der Junge kam, sie hatte Mohnstrudel aus der Bäckerei mitgebracht. Es geht auch ohne, dachte Elsa und ging ins Wohnzimmer. Der Tisch war gedeckt, sie hatte ein neues Teelicht ins Stövchen gestellt, hatte es bereits angezündet, es leuchtete warm im Dämmerlicht. Sie stellte sich ans Fenster, Samenkapseln hingen rund und stachelig an den nackten Ästen. Sie konnte die ganze Promenade überblicken, die Bänke waren leer, die Sandwege. Erika hatte ihren Stock in der Rechten gehalten, Elsa hatte die andere Seite gestützt, langsam waren sie gegangen, Erika hatte die Schritte gezählt, »zehn noch«, sagte sie, und wenn sie die beisammenhatte, wieder »zehn noch«. Erika hatte die Lippen zusammengepresst, hoch geatmet, wenn sie das offene Bein belastete. Hatte sich von Zeit zu Zeit auf eine der Banklehnen gestützt, sich nicht hinsetzen wollen, »du kriegst mich nicht wieder hoch« zu Elsa gesagt.
    Als Elsa langsam unter den Platanen gegangen war, Erika an ihrer Seite eingehakt, hatten die Bänke noch nicht gestanden. Das Gras war höher, es hatte an ihren geschwollenen Knöcheln gekitzelt, die Platanen reichten kaum bis zum zweiten Stock. Es hatte gedauert, bis sie ihren Zustand bemerkte.
    Du verbrennst dich, dachte sie, die Seifenlauge ist heiß. Statt nur kurz die Wäsche einzutauchen, sie über das Brett zu reiben, bleiben ihre Hände auf dem Wannenboden liegen. Sie versteht mit einem Mal, warum sie das Salz nicht mehr benutzt, um mit kaltem Wasser Blut aus dem Stoff zu ziehen. Warum ihre Büstenhalter zu eng sind. Die Rocksäume. Fühlt nur noch die Unterarme, von den Fingerspitzen bis kurz unter die Ellbogen, aus mehr besteht ihr Körper nicht, aber die Unterarme fühlt sie sehr deutlich und scharf umrissen, und so, dass sie keine Luft holen kann. Dunkelrot ist die Haut, als sie die Arme aus der Wanne zieht, dampft im stillen Badezimmer.
    Einen Apfel mittags im Büro, Brot ohne Aufstrich abends, wenn Erika drängt, mehr isst sie nicht. Will es aushungern, es soll klein bleiben, schrumpfen statt wachsen, so lange schrumpfen, bis es weg ist. Bis Erika klingelt, am Samstagmorgen, zum Markt wollen sie. Übel ist ihr, Speichel läuft in ihren Mund, den Magen verdorben, denkt sie. Im Treppenhaus dehnt sich die Übelkeit aus, kriecht in ihren Brustkorb.
    »Vielleicht gibt es schon erste Erdbeeren«, sagt Erika, als der Tag wegrutscht. Ein dumpfer Schmerz in ihrem Hintern, sie schlägt auf, so viel begreift sie, vor ihr poltert es, eine harte gerade Kante drückt sich in ihren Rücken. Als es wieder hell wird, sitzt sie auf den Stufen. Ihr Einkaufskorb liegt auf der Seite, unten auf dem Treppenabsatz.
    »Tief einatmen«, sagt Erika, holt Wasser aus der Küche, sie muss in kleinen Schlucken trinken. Erika droht ihr die Beine hochzulegen, im Treppenhaus, zwischen erstem Stock und Erdgeschoss.
    Von da an passt Erika auf.
    »Sieht komisch aus, Storchenbeine und drüber ein riesiger Ballon. Wie die Hungerödeme nach dem Krieg«, sagt sie, »wenn du überall dicker wirst, fällt es weniger auf.« Erika drückt und tastet, legt kalt das Stethoskop an den blaugeäderten Hügel, nickt zufrieden, misst seinen Umfang mit dem Maßband aus dem Nähkorb, notiert die Zahlen in einer Tabelle. »Es hat sich

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