Reckless - Lebendige Schatten
jedem Wüstenmarkt fand. Die Medizin, die Jacob brauchte, lieferten nur die nordischen Geister. Sie waren wesentlich seltener und ausgesprochen bösartig, weshalb die Männer, die sie jagten, zernarbter waren als Chanute. Der Geist, den Jacob zu befreien plante, hatte seinen Jäger so schlimm zugerichtet, dass er den Kampf mit ihm nur um ein paar Stunden überlebt hatte. Jacob hatte ihn selbst begraben.
Er scheuchte den Däumling nach draußen, bevor seine Neugier ihn umbrachte, und schloss die Türen.
›Sie sind alle Mörder, Jacob, vergiss das nie!‹ Chanute hatte ihn mehr als einmal vor den nordischen Flaschengeistern gewarnt. ›Sie wurden eingesperrt, weil sie gern töten, und sie wissen, dass sie zur Strafe für den Rest ihres unsterblichen Daseins jedem hergelaufenen Dummkopf dienen müssen, der in den Besitz der Flasche kommt. Der einzige Gedanke, der sie umtreibt, ist der, wie sie ihren Meister umbringen können, um die Flasche selbst in die Finger zu bekommen.‹
Jacob trat in die Mitte der Kapelle.
Das Muster, das in das Flaschenglas gefräst war, diente als Fessel für den, den sie gefangen hielt. Jacob zeichnete es auf die Innenflächen seiner Hände, bevor er das Messer zog. Es gab nur eines, was schwieriger war, als diese Geister zu fangen: sie ungeschoren wieder herauszulassen. Aber was hatte er schon zu verlieren?
Das Siegel, das den Flaschenhals verschloss, stammte von dem Richter, der den Geist zu ewiger Haft hinter dem braunen Glas verurteilt hatte. Jacob schälte das Wachs mit dem Messer von der Öffnung. Dann stellte er die Flasche auf die Fliesen und trat rasch zurück.
Der Rauch, der aus ihrem Hals stieg, war silbrig-grau wie die Schuppen eines Fisches. Er formte Finger, einen Arm, eine Schulter. Die Finger tasteten durch die kalte Luft und ballten sich zur Faust, und aus der Schulter schob sich ein Nacken, gezackt wie der einer Echse.
Vorsicht, Jacob!
Er duckte sich in den Rauch, der immer noch aus der Flasche stieg. Über ihm bildete sich ein Schädel mit niedriger Stirn und strähnigem schulterlangem Haar. Dann öffnete sich ein Mund in dem silbrigen Fleisch. Das Stöhnen, das ihm entwich, ließ die Mauern der Kapelle erzittern wie die Flanken eines Tieres. Die zerbrochenen Fenster barsten und Jacob atmete zersplittertes Glas. Es regnete in bunten Scherben auf ihn herab, während der Geist über ihm die Augen öffnete. Sie waren weiß wie die eines Blinden, mit Pupillen, die wie schwarze Einschusslöcher in ihrer Mitte schwammen. Als ihr lauernder Blick Jacob fand, hielt er die Flasche wieder in der Hand, die Finger fest um ihren Hals geschlossen.
Der riesige Körper duckte sich wie eine Katze vor dem Sprung.
»Sieh an.« Die Stimme des Flaschengeistes klang so heiser, als hätte er in seinem gläsernen Gefängnis das Sprechen verlernt. »Und wer bist du? Wo ist der andere, der mich gefangen hat?«
Er beugte sich zu Jacob herab. »Ist er tot? Ich erinnere mich, dass ich ihm die Rippen gebrochen habe. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was ich dem Richter antun werde. Ich habe es mir all die Jahre ausgemalt. Ich werde ihn zerpflücken wie eine Blüte, mir die Zähne mit seinen Knochen säubern, die Nase in seiner Haut schnäuzen …«
Die Kapelle füllte sich mit seiner heiseren Wut und das Muster auf Jacobs Handflächen bedeckte sich mit Frostkristallen.
»Hör auf mit der Angeberei!«, rief er zu dem Geist hinauf. »Du wirst nichts dergleichen tun. Du wirst mir dienen, bis ich dich leid bin, oder ich bring dich in eines der Gefängnisse, in denen sie deinesgleichen wie Weinflaschen lagern.«
Der Flaschengeist strich sich die strähnigen Haare aus der Stirn. Sie waren aus biegsamem Glas und in jedem Land hinter dem Spiegel ein Vermögen wert.
»Das war nicht sehr respektvoll!«, raunte er. Sein Gesicht war zernarbt und das linke Ohr zerfetzt. In ihrer kalten Heimat wurden sie oft in Kriegen eingesetzt.
»Gut. Was sind die Wünsche meines neuen Meisters?«, schnurrte er. »Das Übliche? Gold. Macht. Feinde, die wie zertretene Fliegen vor deinen Füßen liegen?«
Das Glas der Flasche war so kalt, dass es Jacobs Hände gefühllos machte. Halt sie fest, Jacob .
»Gib sie mir!« Der Flaschengeist beugte sich so tief herab, dass sein gläsernes Haar Jacobs Schulter streifte. »Gib mir die Flasche, und ich beschaffe dir, was du willst. Aber wenn du sie behältst, werde ich Tag und Nacht auf die Gelegenheit warten, dich zu töten. Ich habe zu lange nichts als braunes Glas
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