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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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Nerron war weder hochgewachsen noch schön – beides Eigenschaften, auf die die Onyx sehr viel Wert legten –, und seine Mutter hatte gewusst, was das bedeutete. Die Onyxlords waren geizig mit ihrem Blut. Bastarde, die bei der Musterung durchfielen, wurden in dem See ertränkt, an dessen Ufer der Palast lag. Aber ein Fünfjähriger, dem es gelang, ein kostbares Spionagewerkzeug zu stehlen, während er in ihrer Bibliothek auf seinen Urteilsspruch wartete, versprach irgendwann nützlich zu werden.
    Die Spinne war schläfrig, aber sie begann ihren Tanz, sobald Nerron ihr die Klaue gegen den blassen Bauch stieß.
    Zwillingsspinnen.
    Selten und wertvoll.
    Er hatte Monate gebraucht, um zu verstehen, was die acht Beine ihm auf die Handfläche schrieben. Der stumme Tanz glich dem Tanz, den Bienen aufführten, um ihren Artgenossen den Weg zu vielversprechenden Blüten zu weisen. Aber die Spinne berichtete nicht, was sie selbst, sondern was ihre Zwillingsschwester sah, und die war Jacob Reckless in Guismunds Gruft in die Kleider gekrochen.
    Der Kopf. Die Hand. Das Herz. Wonach würde er zuerst suchen?
    Was die Spinne schrieb, klang wie Bruchstücke eines Gesprächs: … ein alter Freund … weiß nicht … lange her … zwei, drei Stunden von der Fähre …
    Die Fähre … Das konnte nur Albion und damit Westen bedeuten. Bestens. Schon der Gedanke an den Großen Kanal verursachte Nerron Übelkeit. Die feuchte Furcht der Goyl … Falls der Kopf in Albion war, tat Reckless ihm einen Gefallen, wenn er ihn fand und aufs Festland brachte.
    Die Spinne tanzte weiter, aber ihre Zwillingsschwester war furchtbar geschwätzig und brabbelte nach, was immer sie aufschnappte. Wen zum Teufel interessierte, welche Farbe der Himmel hatte, den Reckless sah, wonach es roch und ob er draußen schlief oder in einem Hotel abstieg? Na, komm schon! Wohin genau war Reckless unterwegs? Wusste er schon, wo er nach der Hand und dem Herzen suchen wollte? Aber alles, was die Spinne tanzte, war die Speisekarte eines flandrischen Gasthauses. Verflucht, wenn die Biester bloß klüger wären.
    »Bist du der Goyl, der den Prinzen begleitet?«
    Die Stimme war nicht mehr als ein feuchtes Flüstern.
    Ein Wassermann stand vor dem Kutschfenster, schuppig wie die Echsen, aus deren Haut Nerrons Kleider gemacht waren. Seine sechs Augen waren so farblos wie das Wasser, das die Knechte den Pferden des Krummen hinstellten.
    Der Goyl, der den Prinzen begleitet. Na bestens …
    »Der Prinz wartet.« Bei Wassermännern klang jedes Wort wie eine Drohung.
    Schön. Sollte sein Prinz warten, bis er Moos unter den königlichen Achseln ansetzte. Nerron ließ die Spinne in das Medaillon zurückschlüpfen.
    Die Uniform des Wassermanns schlug Wellen, während er ihm über den Schlosshof voranging, als protestierte sein Körper gegen die Kleider. In ihren Tümpeln bedeckten sie die schuppige Haut nur mit Algen und Schlamm. An Land waren sie auch nicht allzu sauber. Es gab wenige Kreaturen, die bei einem Goyl mehr Ekel auslösten.
    Ein Prinz und ein Wassermann. Salamanderdreck … Nerron spuckte aus – und fing sich einen missbilligenden Blick aus den farblosen Augen ein. Wenigstens waren Wassermänner dafür bekannt, dass sie nicht sonderlich gesprächig waren, und als prinzliche Leibwächter verzichteten sie hoffentlich darauf, jedes halbwegs ansehnliche Menschenmädchen in einen Tümpel zu zerren.
    Der Prinz wartet.
    Nerron verfluchte den Krummen mit jedem Schritt, den er auf seinen Sprössling zutat. Louis von Lothringen erwartete sie vor dem Stall, in dem die Jagdpferde seines Vaters standen. Seine Reisekleider würden jeden Wegelagerer auf hundert Meilen herbeilocken. Man konnte nur hoffen, dass sie nach ein paar Tagen vor Schmutz starrten und die Däumlinge die diamantenen Knöpfe stehlen würden. Der Thronfolger Lothringens aß zu viel und zu gut, das war nicht zu übersehen, und die weißblonden Locken hingen ihm so ungekämmt um das aufgeschwemmte Milchgesicht, als hätten seine Diener ihn gerade erst aus dem Bett gezerrt. Einen hatte er sogar mitgebracht: Er reichte seinem Herrn kaum bis zu den Brustwarzen und sah aus wie ein Käfer in seinem steifen schwarzen Gehrock. Der Blick, mit dem er Nerron musterte, war so erstaunt, als hätte er noch nie einen Goyl gesehen. Nerron gab den Blick finster zurück . Es ist alles wahr, was du über sie gehört hast, Käfermann.
    Ein Wassermann, ein Prinz und ein Käfer … Jacob Reckless würde sich die Hände

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