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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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wurde dem Henker übergeben, gevierteilt und zu Füßen ihres Opfers begraben.«
    »Wo?«
    »Auf dem Friedhof der Abtei von Fontevaud.«
    Fontevaud. Das war ein Ritt von sechs Tagen – falls das Prinzlein nicht allzu oft Rast machen musste. Reckless würde sicher so lange in Albion unterwegs sein.
    Der Kopf im Westen. Die Hand im Süden.
    Nerron lächelte. Er war sicher, er würde die Hand haben, bevor Reckless überhaupt herausfand, wo der Kopf war. Das war leichter als erwartet. Vielleicht war es gar nicht schlecht, einen gebildeten Käfer mit auf die Jagd zu nehmen. Nerron selbst war kein Freund von Büchern, im Gegensatz zu Reckless, von dem man hörte, dass er jede Bibliothek zwischen dem Weißen Meer und Eisland kannte und Wochen über alten Handschriften zubrachte, wenn er die Spur eines Schatzes aufnahm. Nein, das war nicht nach Nerrons Geschmack. Er fand seine Spuren lieber in Gefängnissen, Wirtshäusern oder am Straßenrand. Aber so ein gebildeter Käfer … Nerron klopfte Lelou auf die schmächtigen Schultern.
    »Nicht schlecht, Arsene«, sagte er. »Du hast deine Chancen, diese Unternehmung zu überleben, soeben deutlich verbessert.«
    Lelou blickte drein, als wäre er nicht sicher, ob diese Aussage ihn beruhigen sollte. Vor dem Stall diskutierte Louis mit dem Wassermann darüber, wie viele Pferde sie brauchen würden, um seine Reiseausstattung zu transportieren.
    »Kein Wort über unsere Unterhaltung!«, flüsterte Nerron Lelou zu, während sie zu ihnen zurückgingen. »Und vergiss die Zeitungen, auch wenn Louis sein Gesicht gern auf der Titelseite sieht. Ich will jede Silbe sehen, die du über seine Abenteuer schreibst, und natürlich erwarte ich, dass meine Rolle dabei aufs Schmeichelhafteste geschildert wird.«

16
DER KOPF IM WESTEN
    D ie meisten Schiffe, die im Hafen von Dunkerk vor Anker lagen, brauchten noch den Wind, um die Meere der Spiegelwelt zu befahren. Der Wind, der ihnen zwischen die Masten fuhr, würzte die Luft mit all dem, was sie aus den fernsten Winkeln dieser Welt zurückbrachten: Silberpfeffer, Flüsterholz, exotische Tiere für Fürstenzoos in Lothringen und Flandern … die Liste war endlos. Aber die Fähren, die nach Albion übersetzten, hatten statt der Masten bereits Schornsteine und bliesen dem Wind verächtlich ihren schmutzigen Dampf ins Gesicht.
    Die Fähre, die Jacob mit Fuchs bestieg, brauchte trotzdem mehr als drei Tage, um den Großen Kanal zu überqueren, der Albion vom Festland trennte. Die See war rau, und der Kapitän ließ immer wieder die Motoren drosseln, um nach einem riesigen Tintenfisch Ausschau zu halten, der vor Wochen eine andere Fähre in die Tiefe gezogen hatte.
    Jacob hatte das Gefühl, dass ihm die Zeit wie Sand durch die Finger rann, und Fuchs stand an der Reling und blickte über die aufgewühlten Wellen, als könnte sie die Küste herbeiwünschen. Jacobs Abneigung gegen Schiffe war fast ebenso groß wie die der Goyl. Fuchs dagegen stand auf den schwankenden Planken, als wäre sie darauf geboren worden. Sie war die Tochter eines Fischers. So viel hatte sie Jacob irgendwann über ihre Herkunft verraten. Fuchs sprach noch widerwilliger über ihre Vergangenheit als er. Alles, was Jacob wusste, war, dass sie in einem Dorf in Nordlothringen geboren worden und ihr leiblicher Vater kurz nach ihrer Geburt gestorben war, dass ihre Mutter erneut geheiratet und sie drei Stiefbrüder hatte.
    Die Kreidefelsen, die am vierten Tag endlich aus den grauen Wellen auftauchten, hatten ihr genaues Ebenbild in Jacobs Welt. Aber von Albions weißen Felsen blickten sieben Könige und eine Königin auf die ankommenden Schiffe herab. Jedes der Abbilder war so groß, dass man sie an klaren Tagen auf viele Meilen Entfernung sah. Die Salzluft zerfraß ihnen die Gesichter ebenso unerbittlich wie die Autoabgase die Denkmäler der anderen Welt, und das Gesicht des derzeitigen Königs war von einem Gerüst verdeckt, auf dem ein Dutzend Steinmetze damit beschäftigt war, den Schnurrbart aufzufrischen, der ihm den Beinamen »das Walross« eingebracht hatte.
    Fuchs musterte Albions Küste wie Feindesland. In den Theatern der Städte johlte das Publikum Gestaltwandlern zu, die sich auf der Bühne in Esel oder Hunde verwandelten. Füchse dagegen wurden in den grünen Hügeln mit solcher Leidenschaft gejagt, dass Jacob ihr das Versprechen abgenommen hatte, das Fell auf der Insel nicht zu tragen.
    Albion … Chanute behauptete, dass es hier früher mehr magische Geschöpfe gegeben

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