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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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hatte als in Lothringen und Austrien zusammen, aber inzwischen schossen die Fabriken schneller aus Albions regennassen Wiesen als in Schwanstein. Während Jacob sein Pferd zwischen den Karren hindurchlenkte, die an dem Fähranleger warteten, glaubte er, auf den umliegenden Hügeln schon die Städte wachsen zu sehen, die in der anderen Welt wucherten. Aber noch waren die Hügel mit den verwunschenen Wäldern bedeckt, die ihm das eigene Herz so viel besser erklärten als die Straßen und Parks, mit denen er und Will aufgewachsen waren. Jacob fragte sich oft, ob auch sein Vater diese Welt für ihre Ungezähmtheit geliebt hatte oder doch nur dafür, dass er die Erfindungen einer anderen Welt hier als die eigenen hatte ausgeben können.
    Sie nahmen eine der weniger befahrenen Straßen nach Nordwesten, die sich an Feldern und Wiesen vorbeiwand, die vergessen ließen, dass Däumlinge und Stilze in Albion inzwischen genauso selten anzutreffen waren wie Hobs, die albische Variante der Heinzel, oder die geschuppten Wasserpferde, die man noch vor ein paar Jahren an jedem Fluss hatte grasen sehen. Der letzte Goldrabe starrte ausgestopft aus einer Museumsvitrine, Einhörner gab es nur noch auf dem Königswappen, und Albion baute in Londra, der alten Hauptstadt, Paläste, die der neuen Zauberei huldigten: der Wissenschaft und der Ingenieurskunst. Doch Jacobs Ziel war eine andere Stadt.
    Pendragon lag kaum vierzig Meilen landeinwärts, hatte fast so viele Türme wie Londra und war so alt, dass es endlose Debatten über das Gründungsjahr gab. Außerdem beherbergte die Stadt Albions berühmteste Universität. Das Zentrum markierte ein großer Stein. Die Oberfläche hatten zahllose Hände glatt poliert. Auch Fuchs zügelte das Pferd und strich darüber, bevor sie weiterritt. Es war angeblich der Stein, aus dem Arthur Pendragon ein magisches Schwert gezogen und sich so – lange vor Guismunds Zeit – zum König Albions gemacht hatte. Kein König hinter dem Spiegel war von einem so dichten Geflecht aus Wahrheit und Mythos umgeben wie Arthur. Es hieß, dass ihn eine Fee geboren hatte und sein Vater ein Erlelf gewesen war, einer der legendären Unsterblichen, die sich die Feen zu Feinden gemacht hatten und die von ihnen so gründlich vernichtet worden waren, dass keine Spur mehr von ihnen zu finden war. Arthur hatte Pendragon nicht nur den Namen gegeben, sondern auch die berühmte Universität selbst gegründet – und den Grundstein mit so starker Magie versehen, dass die alten Mauern bei Nacht immer noch so stark leuchteten, dass sie jede Laterne überflüssig machten.
    Die Gebäude lagen hinter dem schmiedeeisernen Zaun, der sie seit Jahrhunderten umgab wie die Überreste einer verwunschenen Stadt. Das Tor wurde bei Sonnenuntergang geschlossen. Fuchs lauschte in die Nacht, bevor sie sich hinüberschwang. Die Wächter, die das Gelände bei Dunkelheit abschritten, versahen ihren Dienst schon seit so vielen Jahren, dass man sie eigentlich längst in den wohlverdienten Ruhestand hätte schicken müssen, aber alles, was sie bewachten, war eh nur eine Unmenge alter Bücher und der Geruch der Vergangenheit, der sich sehr zögernd mit dem Parfüm des Fortschritts mischte.
    Türme und Giebel aus blassgrauem Stein. Dunkle Fenster, in denen sich das Licht der beiden Monde fing. Jacob liebte Pendragons Labyrinth der Gelehrsamkeit. Er hatte unzählige Stunden in der Großen Bibliothek verbracht, in den alten Hörsälen Vorlesungen über Leprachauns oder die Hexendialekte in Lothian besucht, in der Fechthalle ein paar neue (erstaunlich schmutzige) Finten gelernt … und immer wieder festgestellt, dass er so viel begieriger war, diese Welt zu verstehen, als die, in die er geboren worden war. All die Jahre, die er damit verbracht hatte, verlorene Zauberschätze zu finden, gaben ihm fast das Gefühl, der Beschützer einer Vergangenheit zu sein, die die Bewohner dieser Welt nicht länger schätzten.
    Die meisten Fenster der Historischen Fakultät waren dunkel wie die der anderen Gebäude. Nur im zweiten Stock brannte noch Licht. Robert Lewis Dunbar liebte es, bis spät in die Nacht zu arbeiten.
    Er hob nicht mal den Kopf, als Jacob in sein Arbeitszimmer trat. Dunbars Schreibtisch war so übersät mit Büchern, dass man ihn kaum hinter den Stapeln sah, und Jacob fragte sich, in welchem Jahrhundert er sich diesmal gerade verlor. Es war schwer, der Sohn eines reinrassigen FirDarrig und zugleich ein begabter Historiker zu sein. Man musste brillanter

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