Red Rabbit: Roman
Fichtenholzsarg einfach nur vergraben, statt ihn zu verbrennen? War es wirklich der Mühe wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen?
»Komisch. Viele historische Persönlichkeiten haben gewisse Dinge getan, weil sie psychisch labil waren. Heute könnte man ihnen mit Lithium oder irgendwelchen anderen Substanzen helfen, die wir – hauptsächlich in den letzten dreißig Jahren – entdeckt haben, aber damals standen ihnen lediglich Alkohol und Jod zur Verfügung. Oder vielleicht ein Exorzismus«, fügte sie hinzu, wobei sie sich fragte, ob daran wirklich etwas war.
»Und Rasputin? Stimmte auch bei ihm etwas mit der Chemie nicht?«, warf Ryan ein.
»Schon möglich. Über ihn weiß ich allerdings kaum etwas, außer dass er ein ziemlich verschrobener Mönch gewesen sein soll.«
»Nein, er war kein richtiger Mönch, nur ein Laie mit einer mystischen Ader. Heute wäre er wahrscheinlich Fernsehprediger. Wie
auch immer, er hat das Haus Romanow zu Fall gebracht – aber die waren sowieso zu nicht viel zu gebrauchen.«
»Und dann kam Stalin an die Macht?«
»Erst Lenin, dann Stalin. Wladimir Iljitsch ist an einem Schlaganfall gestorben.«
»Wahrscheinlich hatte er zu hohen Blutdruck. Oder zu viel Cholesterin, das dann im Hirn Klumpen gebildet und ihm den Garaus gemacht hat. Und Stalin war schlimmer, oder?«
»Lenin war auch nicht ohne, aber Stalin war ein Fall für sich – wie Tamerlan ins zwanzigste Jahrhundert versetzt, oder manche römische Kaiser. Wenn die Römer eine Stadt eroberten, die ihnen Widerstand geleistet hatte, brachten sie alles und jeden um, einschließlich der Hunde.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Die Engländer haben später immerhin die Hunde verschont«, fügte Ryan hinzu. »Das haben sie denn doch nicht übers Herz gebracht.«
»Sally vermisst ihren Ernie übrigens sehr«, bemerkte Cathy in typisch weiblicher Manier – ein Beitrag, der fast, aber nicht gänzlich nebensächlich war für die Unterhaltung. Ernie war ihr Hund in den Staaten.
»Ich vermisse ihn auch, aber dafür wird er diesen Herbst voll auf seine Kosten kommen – die Schonzeit für Enten ist bald vorbei. Dann darf er den ganzen Tag tote Vögel aus dem Wasser holen.«
Cathy schauderte. Sie hatte noch nie etwas Lebendigeres gejagt als die Hamburger im Supermarkt – und doch schnitt sie Menschen mit Messern auf. Verrückt, dachte Ryan mit verschmitztem Grinsen.
»Mach dir deswegen mal keine Sorgen, Liebling. Ernie wird es bestimmt gefallen. Glaub mir.«
»Ja, klar.«
»Er geht gern schwimmen«, erklärte Ryan, um ihr noch eine weitere Spitze zu versetzen. »Und was stehen nächste Woche im Krankenhaus für interessante Augenprobleme an?«
»Reine Routinefälle – die ganze Woche lang nur Augenuntersuchungen und Brillenrezepte.«
»Nichts richtig Aufregendes, wie zum Beispiel irgendeinem armen Teufel das linke Auge zu zerschnippeln und dann wieder zusammenzunähen?«
»So etwas machen wir nicht«, erklärte sie kurz und bündig.
»Schatz, ich könnte nie im Leben mit einem Messer in den Augapfel eines Menschen schneiden, ohne einen Anfall zu bekommen – oder in Ohnmacht zu fallen.« Schon bei dem bloßen Gedanken schauderte er.
»Schwächling«, war ihr ganzer Kommentar zu diesem Geständnis. Sie schien nicht verstehen zu können, dass das bei der Ausbildung an der Marine Corps Basic School in Quantico, Virginia, nicht auch auf dem Lehrplan stand.
Mary Pat spürte, dass ihr Mann noch wach war, aber für eine Unterhaltung war jetzt nicht die Zeit, auch nicht für stumme Dialoge in ihrer privaten Zeichensprache. Stattdessen ließ sie sich diverse Möglichkeiten durch den Kopf gehen, die geeignet waren, das Paket außer Landes zu schaffen. Über ein Versteck in Moskau? Zu heikel. Über Stationen in anderen Teilen der Sowjetunion? Das wäre auch nicht viel einfacher, weil die Moskauer Außenstelle nicht über ausreichend viele Mitarbeiter verfügte, die man an anderen Orten dieses riesigen Landes hätte einsetzen können. Geheimdienstoperationen spielten sich in der Regel in Landeshauptstädten ab, denn dort konnte man »Diplomaten« postieren, die in Wirklichkeit Wölfe in Schafspelzen waren. Eine nahe liegende Gegenmaßnahme wäre es, in der eigenen Regierungshauptstadt ausschließlich strikt regierungsbezogene Behörden zu etablieren, klar abgegrenzt vom Militär und anderen sensiblen Bereichen. Aber das würde niemand tun, und zwar aus dem einfachen Grund, weil alle Regierungsmitglieder ihre Funktionäre
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