Red Rabbit: Roman
ein. Vielleicht würde Washington nächste Woche einen ungarischen Diplomaten nach Hause schicken – ob es ein Schaf oder eine Ziege war, würde in Washington entschieden. Ericsson nahm an, dass es ein Schaf war. Warum durchblicken lassen, dass das FBI eine Ziege identifiziert hatte? Besser, man ließ die Ziege weiter in dem Garten grasen, in den sie eingedrungen war – aber unter scharfer Beobachtung. Und so ging das Spiel eben weiter. Der Botschafter hielt es für ein sinnloses Spiel, aber alle Angehörigen seines Mitarbeiterstabs spielten es mehr oder weniger begeistert mit.
Die Nachricht über Szell hatte, wie sich herausstellte, nur so wenige Alarmglocken ausgelöst, dass sie bei ihrem Eingang im CIA-Hauptquartier als eine Routineangelegenheit eingestuft und somit nicht für wert befunden wurde, das Wochenende des DCI zu stören – Judge Moore wurde natürlich trotzdem jeden Morgen über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt. Deshalb, so entschieden
die zuständigen Mitarbeiter einheitlich, würde dieser Punkt bis Sonntag acht Uhr morgens warten müssen, denn der Richter legte Wert auf ein geregeltes Leben. Und Budapest spielte nun wirklich keine besonders große Rolle im Weltgeschehen.
Ein Sonntagmorgen in Moskau war nicht viel anders als ein Sonntagmorgen irgendwo sonst auf der Welt, außer dass sich weniger Leute für den Kirchgang fein machten. Das traf auch auf Ed und Mary Pat Foley zu. In der amerikanischen Botschaft las zwar jeden Sonntagmorgen ein katholischer Geistlicher die Messe, aber meistens schafften sie es nicht rechtzeitig dorthin – obwohl sie beide katholisch genug waren, um wegen ihres trägheitsbedingten Fernbleibens ein schlechtes Gewissen zu haben. Umgekehrt hielten sich ihre Schuldgefühle jedoch in Grenzen, insofern nämlich, als sie sich beide sagen konnten, dass sie mitten unter den Heiden Gottes Werk verrichteten. An diesem Sonntag wollten sie mit Eddie im Park spazieren gehen, wo er vielleicht ein paar Kinder traf, mit denen er spielen konnte. Das hatten sie zumindest Eddie erzählt. Foley kämpfte sich aus dem Bett und ging als Erster ins Bad, gefolgt von seiner Frau und dann dem kleinen Eddie. Keine Morgenzeitung, und das Fernsehprogramm war genauso miserabel wie die ganze restliche Woche über. Deshalb blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich beim Frühstück zu unterhalten, und das war etwas, was vielen Amerikanern schwer fiel. Ihr Sohn war noch klein und aufgeschlossen genug, um Moskau interessant zu finden, obwohl fast alle seine Freunde Amerikaner oder Engländer waren: Wie seine Eltern waren sie Bewohner des von MGB oder KGB bewachten Lagers oder Gettos – was von beidem es war, daran schieden sich die Geister, aber allen war klar, dass es kaum einen Unterschied machte.
Das Treffen war für elf Uhr angesetzt. Oleg Iwan’tsch wäre leicht zu erkennen – genau wie sie, Mary Pat, was ihr auch bewusst war. Wie ein Pfau unter Krähen, sagte ihr Mann immer. Sie beschloss, sich diesmal sehr dezent zurechtzumachen. Kein Make-up, nur nachlässig gebürstetes Haar, Jeans und ein einfaches Hemd. An ihrer Figur konnte sie allerdings nicht viel ändern – um dem einheimischen Schönheitsideal zu entsprechen, hätte sie bei ihrer Größe zehn Kilo mehr Gewicht haben müssen. Das modische Niveau der Durchschnittsrussin entsprach etwa dem der Frauen in der Bronx.
Die Ehefrauen wichtiger Persönlichkeiten erkannte man sofort, weil ihre Kleidung im Gegensatz zum Bronx-Stil fast nach Mittelschicht aussah.
»Kommst du mit, Ed?«, fragte sie nach dem Frühstück.
»Nein, Schatz. Ich mache in der Küche sauber, und dann möchte ich den neuen Krimi lesen, den ich letzte Woche bekommen habe.«
»Der Mörder war der Lasterfahrer«, sagte sie. »Ich habe schon mal was von diesem Autor gelesen.«
»Vielen Dank für den Hinweis«, brummte ihr Mann.
Kurz darauf sah sie auf die Uhr und machte sich auf den Weg. Der Park lag drei Straßen weiter im Osten. Sie winkte der Wache am Tor zu – eindeutig KGB, dachte sie – und wandte sich mit Eddie an der Hand nach links. Für amerikanische Verhältnisse war der Verkehr minimal, und es wurde eindeutig kühler. MP war froh, ihrem Sohn ein langärmeliges Hemd angezogen zu haben. Als sie sich kurz zur Seite drehte, um zu ihm hinabzublicken, stellte sie fest, dass ihnen niemand folgte. Natürlich konnte in einer der Wohnungen auf der gegenüberliegenden Straßenseite jemand mit einem Fernglas lauern, aber irgendwie hielt
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