Red Rabbit: Roman
wie beim Pokern – wenn man wissen wollte, welche Karten die anderen auf der Hand hatten, musste man erst zahlen.
Ryan war gerade mit Packen beschäftigt. Cathy konnte das zwar besser, aber er wusste ja selbst nicht genau, was er mitnehmen sollte. Was packte man ein, wenn man als Geheimagent unterwegs war? Einen Straßenanzug? Seine alten Klamotten vom Marine Corps? (Er hatte sie immer noch, inklusive Oberleutnant-Abzeichen am Kragen und allem.) Gute Lederschuhe? Turnschuhe? Schließlich entschied er sich für einen unauffälligen Anzug und zwei Paar Halbschuhe – ein besseres Paar und Freizeitschuhe. Sein gesamtes Gepäck musste in eine Tasche passen, weshalb er eine Leinentasche von L.L. Bean aus dem Schrank genommen hatte, die unauffällig und leicht zu tragen war. Seinen Pass ließ er in der Schreibtischschublade. Sir Basil würde ihm einen hübschen neuen britischen Pass geben, noch so einen »Bin-Diplomat-darfalles-Pass«. Vielleicht sogar auf einen anderen Namen ausgestellt. Mist, dachte Jack, ein neuer Name, den man sich merken und auf
den man reagieren musste. Er war daran gewöhnt, nur einen zu haben.
Vielleicht sollte er doch wieder zu Merrill Lynch zurückgehen. Die Arbeit dort hatte auch ihr Gutes gehabt: Wenigstens wusste man immer genau, wer zum Teufel man war. Sicher, sann Jack weiter, und dann lass die ganze verdammte Welt wissen, dass du nur ein Lakai von Joe Muller bist. Nie im Leben!
»Fertig?«, fragte Cathy hinter ihm.
»Fast, Schatz«, erwiderte Jack.
»Das, was du tun musst, ist doch nicht gefährlich, oder?«
»Ich denke nicht, nein.« Aber Jack konnte nicht gut lügen, und man hörte ihm seine Unsicherheit an.
»Wo fährst du hin?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt! Nach Deutschland.« Ohoh. Sie hat mich schon wieder durchschaut.
»Was machst du wirklich hier in London, Jack? Century House, das heißt Geheimdienst, und …«
»Cathy, das weißt du doch: Ich bin Analyst. Ich analysiere Informationen, die ich von verschiedenen Quellen erhalte, und versuche herauszufinden, was sie bedeuten sollen, und ich schreibe Berichte für andere Leute. Der Job unterscheidet sich eigentlich gar nicht so sehr von dem, was ich bei Merrill Lynch gemacht habe. Meine Aufgabe ist es, Informationen zu prüfen und sie zu interpretieren. Offenbar glaubt man, ich mache das ganz gut.«
»Aber du hast nichts mit Waffen zu tun?« Das war halb eine Frage, halb eine Feststellung. Jack vermutete, dass ihre Aversion gegen Waffen von der Arbeit in der Notaufnahme des Hopkins-Krankenhauses herrührte. Ärzte hatten im Allgemeinen wenig für Schusswaffen übrig, ausgenommen jene Kollegen, die im Herbst auf Vogeljagd gingen. Cathy gefiel es nicht, dass Jack ein – ungeladenes – Remington-Gewehr in seinem Schrank aufbewahrte, und noch weniger gefiel ihr die – geladene – Browning Hi-Power, die er in einem Fach in seinem Schrank versteckt hielt.
»Schatz, nein. Ich habe nichts mit Waffen zu tun, glaub mir. So ein Agent bin ich nicht.«
»Okay«, sagte sie widerwillig. Sie glaubte ihm zwar nicht ganz, aber sie wusste auch, dass er ihr genauso wenig von seiner Arbeit erzählen durfte wie sie ihm von ihren Patienten. Hauptsächlich
daher rührte auch ihre Frustration. »Wenigstens bist du nicht lange weg.«
»Schatz, du weißt doch, dass ich es hasse, von dir getrennt zu sein. Ich kann nicht einmal richtig schlafen, wenn du nicht neben mir liegst.«
»Warum nimmst du mich dann nicht mit?«
»Was willst du denn in Deutschland? Einkaufen gehen? Vielleicht ein paar Dirndl für Sally kaufen?«
»Na ja, sie mag die Heidi-Filme ganz gern.« Ein schwaches Argument, das wusste sie.
»Gib auf, Schatz. Ich wünschte, du könntest mitkommen, aber es geht nicht.«
»Oh, verdammt!«, rief Lady Ryan frustriert.
»Wir leben nun mal nicht in der perfekten Welt, Liebes.«
Diesen Spruch konnte sie am wenigsten leiden, und ihre Antwort beschränkte sich daher auf ein unverständliches Grunzen. Denn leider hatte er Recht.
Einige Minuten später, als sie im Bett lagen, grübelte Jack darüber nach, was er bei dieser Operation eigentlich tun sollte. Sein Verstand sagte ihm, dass es sich in jeder Hinsicht lediglich um Routinearbeit handeln würde, nur eben in einer anderen Stadt. Und er sollte schließlich nur als Beobachter fungieren. Auch Abraham Lincoln hatte das Schauspiel »Der amerikanische Agent« in Ford’s Theater genossen, allerdings abgesehen von einer Kleinigkeit – dass er dort nämlich
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