Red Rabbit: Roman
Aber sie wurde sowieso oft wegen ihres Akzentes angesprochen, oder darauf, warum auf ihrem Namensschild »Dr. med. Lady Caroline Ryan, FACS« stand. Nun ja, das »Lady« hatte sie sich aus weiblicher Eitelkeit nicht verkneifen können. Jack sah zu, wie sie sich die Haare bürstete – ein Anblick, der ihm immer wieder Freude bereitete. Mit etwas längeren Haaren hätte sie noch schöner ausgesehen als jetzt schon, aber sie ließ sie nie wachsen, da sie meinte, die OP-Hauben würden sowieso jede Frisur ruinieren. Vielleicht würde sie ihre Meinung ändern, wenn sie beide das nächste Mal zu einem Essen ins Königshaus eingeladen wurden. Bald war nämlich wieder eines fällig. Die Queen mochte sie beide, ebenso der Prince of Wales, und deshalb standen sie auf der hiesigen Version der »In-Liste«. Eine solche Einladung konnte man nicht ablehnen, es sei denn, Cathy entschuldigte sich damit, am nächsten Tag operieren zu müssen. Von Agenten jedoch erwartete man, dass sie entzückt waren in Anbetracht der Ehre, die ihnen zuteil wurde, auch wenn das bedeutete, dass einem nur drei Stunden Schlaf bis zum nächsten Arbeitstag blieben.
»Und was steht heute auf deinem Programm?«
»Ein Vortrag über den Xeron-Arc-Laser. Man wird bald einen kaufen, und ich bin die Einzige in ganz London, die weiß, wie man damit umgeht.«
»Meine Frau, die Laser-Expertin.«
»Wenigstens darf ich über meine Arbeit sprechen, Herr Spion«, erwiderte sie.
»Stimmt, Schatz«, sagte Ryan und seufzte resigniert. Vielleicht sollte ich doch noch meine Browning einpacken, einfach um sie zu ärgern, dachte er. Aber wenn die Waffe unterwegs irgendjemandem auffiele, würde man ihn im günstigsten Fall komisch ansehen, und im schlechtesten Fall würde ihn ein Polizist fragen, warum er ein solches Ding trug. Und selbst sein Diplomatenstatus würde ihn nicht vor den dadurch heraufbeschworenen Unannehmlichkeiten bewahren können.
Fünfzehn Minuten später saßen Jack und Cathy in ihrem Abteil im Zug nach London, sie wie immer in eine medizinische Fachzeitschrift, er in den Telegraph vertieft. Der Historiker John Keegan hatte im Innenteil eine eigene Kolumne, da er es hervorragend verstand, komplexe Informationen zu analysieren. Ryan empfand großen Respekt für ihn und fragte sich, warum Basil ihn nicht für das Century House rekrutierte. Vielleicht verdiente Keegan einfach zu gut als Historiker, der seine Theorien über die Zeitung unters Volk brachte – wenngleich wohl nur die klügeren Köpfe sie verstehen konnten. Das wäre eine plausible Erklärung. Als Beamter im Staatsdienst verdiente man sich in England nicht gerade eine goldene Nase, und die Anonymität, die damit einherging – nun ja, es wäre wirklich ganz nett, ab und zu gehätschelt zu werden, wenn man seine Sache gut gemacht hatte, doch Bürokraten wurden solche Zuwendungen überall auf der Welt verwehrt.
Etwa zur gleichen Zeit, da der Expresszug an der Elephant-and-Castle-Station vorbeifuhr, endete Flug Nummer 214 am Terminal vier in Heathrow. Das Flugzeug hielt nicht an einer Fluggastbrücke, sondern auf dem Flugfeld neben Shuttle-Bussen, die die Passagiere zur Zoll- und Passabfertigung bringen sollten. Kaum waren die Räder des Fliegers zum Stillstand gekommen, wurde die Tür des Frachtraums aufgerissen. Die beiden Gepäckstücke, die am Flughafen Logan zuletzt eingeladen worden waren – die beiden Särge –, holte man nun als Erstes wieder heraus. Die Aufkleber an einer Ecke jedes Sarges sagten den Trägern, wo sie hingebracht werden sollten. In der Nähe standen unauffällig zwei Männer vom Century House, die das Ausladen überwachten. Auf einem vierrädrigen Karren – in England »Trolley« genannt – wurden die Särge zu einem Parkplatz für PKW und Kleinlaster gebracht und dort rasch in einen unbeschrifteten Lieferwagen verfrachtet. Die beiden Männer vom SIS stiegen ein und fuhren nach Osten Richtung London, ohne auch nur den blassesten Schimmer zu haben, worum es bei der ganzen Sache überhaupt ging. Aber das war in ihrem Job nichts Besonderes.
Vierzig Minuten später hielt der Lastwagen vor Haus Nummer 100 in der Westminster Bridge Road. Die Särge wurden ausgeladen, wieder auf einen Trolley gehievt und dann mit einem Lastenaufzug ins zweite Untergeschoss gebracht.
Dort warteten zwei weitere Männer. Die Särge wurden vorschriftsmäßig geöffnet. Beide Männer dankten Gott, dass sich genügend Trockeneis darin befand, denn nur das Eis verhinderte,
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