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Red Rabbit: Roman

Red Rabbit: Roman

Titel: Red Rabbit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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angeblich gesehen hatten. Manche Gerüchte über vermeintliche Schandtaten des KGB waren so abwegig, dass Zaitzew sie nicht glauben mochte. Dann wiederum gab es durchaus glaubwürdige Geschichten. Die meisten berichteten von Erschießungskommandos – die nicht selten, wie es hieß, ihren Einsatz vermasselten – oder von Hinrichtungen mit aufgesetzter Pistole, wie sie auch Lawrenti Berija höchstpersönlich, zumindest in einem Fall, vorgenommen haben sollte. Daran war nicht zu zweifeln. Zaitzew hatte Fotos von Berija gesehen, die gewissermaßen nur so trieften von Blut. Und dem Eisernen Felix war durchaus zuzutrauen, dass er den Todesschuss zwischen zwei Bissen in sein Frühstücksbrot abgefeuert hatte. Sein Name war ein Synonym für Erbarmungslosigkeit.
    Der moderne KGB aber gab sich erkennbar kultivierter, zivilisierter. Freundlicher und sanfter. Verräter wurden natürlich nach wie vor exekutiert, hatten aber vorher zumindest pro forma die Chance, sich in einem Gerichtsverfahren zu verantworten und, wenn sie denn unschuldig waren, ihre Unschuld zu beweisen. Freisprüche gab es allerdings so gut wie nie, was sich aber dadurch erklärte, dass der Staat nur die wirklich Schuldigen strafrechtlich verfolgte. Die Ermittler des Zweiten Hauptdirektorats zählten zu den am meisten gefürchteten Männern im ganzen Land. Sie waren ungemein gut ausgebildet, und es hieß, dass sie sich durch nichts und niemanden hinters Licht führen ließen. Man hätte sie für Götter halten können, aber davon wollte man von Staats wegen ja nichts wissen.
    Und dann waren da noch die Frauen. Jeder hatte von der so genannten Spatzenschule gehört. Sooft davon die Rede war, fingen
Männer an zu grinsen und mit den Augen zu zwinkern. Ah, in dieser Schule einmal Lehrer sein zu dürfen oder, besser noch, der Sonderbeauftragte für Qualitätskontrolle! Und dafür auch noch bezahlt zu werden… Davon träumten alle. Nun ja, Irina hatte schon häufig angemerkt, dass alle Männer Schweine seien. Aber, sinnierte Zaitzew, ein Schwein zu sein war schließlich manchmal schön.
    Den Papst töten – warum? Er war doch für dieses Land keine Bedrohung. Stalin hatte einmal im Scherz gefragt: Wie viele Divisionen hat der Papst? Warum also diesen Mann umbringen? Davor warnte ja sogar der Agent. Goderenko fürchtete nachteilige Konsequenzen. Stalin hatte befohlen, Trotzki zu töten, und einen KGB-Offizier auf ihn angesetzt, obwohl ihm bewusst war, dass er damit eine langjährige Haftstrafe riskierte. Aber er hatte es getan, getreu dem Willen der Partei, mit einer professionellen Geste, von der noch heute in den Ausbildungslehrgängen geschwärmt wurde – auch wenn die KGB-Dozenten dann nebenbei erklärten, dass solche Mittel inzwischen obsolet seien. So etwas sei nicht kulturniy , wie es hieß. Und, ja, der KGB habe eine Trendwende vollzogen.
    Und jetzt doch wieder kehrtgemacht? Dabei sprach sich selbst der altgediente Agent in Rom dagegen aus. Warum? Weil er nicht wollte, dass seine Behörde – und sein Land – als unverbesserlich nekulturniy dastand?
    Oder weil ein solches Attentat mehr als töricht wäre? Geradezu durchweg schlecht? »Schlecht« war eigentlich eine den Bürgern der Sowjetunion fremde Kategorie, zumindest im Sinne von moralisch schlecht. Der Begriff der Moralität war in diesem Land ersetzt worden durch die Unterscheidung zwischen politisch korrekt und inkorrekt. Alles, was den Interessen des Landes und seiner Politik nutzte, war gutzuheißen. Was ihnen zuwiderlief war … des Todes?
    Aber wer entschied darüber?
    Einzelne Personen. Denn es gab ja keine Moralität, keine moralische Instanz, sprich: einen Gott, der verkündet hätte, was gut war und was böse.
    Und doch …
    Und doch – trug nicht ein jeder Mensch ein angeborenes Wissen über Recht und Unrecht in sich? Einen anderen Menschen zu töten war schlecht, es sei denn, man hatte rechtmäßige Gründe. Allerdings
waren es letztlich wieder Menschen, die über die Rechtmäßigkeit solcher Gründe entschieden. Wer zur rechten Zeit am rechten Ort mit umfassender Autorität ausgestattet war, hatte das Recht zu töten, weil … Warum?
    Weil es Marx und Lenin so gesagt hatten.
    Das war schon vor langer Zeit von der Regierung so entschieden worden.
    Zaitzew butterte die letzte Brotschnitte und wischte dann damit die Reste der Soße aus seiner Schüssel. Ihm war klar, dass er allzu tiefe, ja geradezu gefährliche Gedanken wälzte. Der Gesellschaft, in der er lebte, war

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