Redwall 01 - Der Sturm auf die Abtei
lächelte ermutigend. »Nein. Ich bin so normal wie ihr auch. Aber wenn ich so tue, als sei ich verrückt, sehen der König und seine Krieger mich vielleicht nicht mehr als Bedrohung an. Vielleicht lassen sie mich in Ruhe und vergessen mich am Ende gar.«
Grauflügel sah von dem Essen auf, das sie gerade zubereitete. Ihre Augen blickten ihn ernst an.
»Matthias Maus handeln richtig«, sagte sie. »Bullenspatz arglistig, sehr launisch. Manchmal Grauflügel denken, Bullenspatz verrückt. Besser er denken, du sein ungefährliche Maus.«
Matthias verneigte sich ehrerbietig vor ihr. »Ich danke Euch, Grauflügel. Ihr seid eine sehr mutige Spatzendame. Ihr habt Euch und Kriegsfeder in große Gefahr gebracht, als Ihr mich gerettet habt.«
Grauflügel gab beiden etwas zu essen. Dankbar stellte Matthias fest, dass sie bei seiner Portion die Würmer und toten Insekten weggelassen hatte.
Die Spatzenmutter betrachtete ihn mit sanften, intelligenten Augen. Der Mäuserich war in etwa im Alter ihrer Tochter.
»Matthias retten meine Kriegsfeder«, sagte sie. »Wir keinen Spatzenkrieger haben, der sich kümmern um uns. Kriegsfeder mutig wie ihr Vater. Jetzt Vater tot. Ich lernen für uns sorgen, bis Kriegsfeder eines Tages selber große Kriegerin.«
Die Zeit verging während ihrer Unterhaltung wie im Fluge. Matthias lernte viel über die Sitten und Lebensart der Spatzen.
Grauflügel war als Schwester des Königs königlicher Abstammung. Ihr Mann war im vergangenen Frühjahr im Kampf mit Staren gefallen. Er hatte dem König das Leben gerettet, woraufhin Bullenspatz geschworen hatte, sich um Grauflügel und ihre Tochter zu kümmern. Aber er hatte sein Versprechen sofort wieder vergessen und so waren die beiden auf sich selbst gestellt. Nur in Notfällen erinnerte Grauflügel ihn an seinen Schwur, weil sie wusste, dass Bullenspatz ein gefährlicher Tyrann war. Darum bewahrte Grauflügel in seiner Gegenwart diplomatisches Stillschweigen.
Manchmal zog sich Bullenspatz in sein Privatgemach zurück. Dort brütete er dann tagelang vor sich hin, bis er ganz plötzlich wieder auftauchte und seine Krieger mit grandiosen Plänen und wilden Ideen überhäufte. Niemand wagte, ihm zu widersprechen, auch wenn er bereits nach einer halben Stunde seine tollkühnen Absichten vergessen hatte und schon wieder Würmer fing. Später kehrte er dann zurück und stellte fest, dass seine Pläne nicht durchgeführt worden waren. In einem Wust von Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen degradierte der König Offiziere und beförderte die ungeeignetsten Soldaten aus der Truppe. Am nächsten Tag hatte er alles wieder vergessen und brütete über neuen verrückten Ideen. Matthias wunderte sich in einem fort über die Lebensart der Spatzen. Freundlichkeit gegeneinander war unbekannt. Beim geringsten Anlass gingen sie aufeinander los. Krieger und sogar Halbwüchsige mischten dabei mit und sie fügten einander ernste Verletzungen zu.
Die Spatzen beherrschten die Kunst des Feuermachens nicht. Bei Tage war der Hof vom Sonnenlicht erhellt, das durch die gespaltenen und zerbrochenen Schindeln hereinströmte und schräg aufwärts durch das Dachgesims flutete. Alles wurde roh verzehrt, Würmer und kleine Insekten waren die Grundnahrungsmittel. Die Spatzen unterschieden nicht zwischen den einzelnen Insektenarten. Alle wurden unter der Bezeichnung »Wurm« zusammengefasst. Wenn also ein Spatz eine Mahlzeit aus Schmetterlingen oder Grashüpfern zubereitete, so nannte er es »Wurmfutter«. »Wurm« wurde ebenfalls gesagt, wenn ein Feind, ein Feigling oder irgendetwas Fremdes gemeint war. Die Würmernahrung wurde mit frischen Blumen, zarten Pflanzentrieben und Beeren ergänzt. Auch jede andere Obstsorte, die ein Spatz im Flug tragen konnte, wurde verzehrt. Dafür war Matthias sehr dankbar. Eine schreckliche Vorstellung, lebende Würmer und tote Insekten zu essen.
Es gab keinen festen Tagesablauf und keine festen Regeln. Die Eltern fütterten zwar ihre Jungen, aber alles andere schob man auf den nächsten Tag, was bedeutete, dass nichts erledigt wurde. Der Beweis hierfür lag überall am Hof herum: Schmutz, Staub, Dreck und allgemeines Chaos herrschten vor.
Matthias stellte mit der Zeit fest, dass die Spatzensprache, wenn man sich erst einmal an die Schnelligkeit, mit der sie gesprochen wurde, gewöhnt hatte, eigentlich recht einfach war. Es wurde fast ausschließlich im Infinitiv gesprochen und die meisten gewöhnlichen Wörter waren Hauptwörter, die willkürlich
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