Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
mir einen Teufel sieht. Ihm den Arsch abzuwischen und ihn zu waschen, daran werde ich mich ja wohl gewöhnen.
Das Telefon klingelt, meine Schwester ruft an. Ihre Stimme zittert. Immer hat ihre Stimme gezittert. Nein, nicht immer, früher konnte sie mal dermaßen lachen, dass sie zu Boden gegangen ist. Sie hat sich spontan Lieder ausgedacht, Barbies misshandelt und gefährlich präzise mit Bonbons gespuckt.
„Ich sitze bei Papa, er ist bewusstlos, er sieht schrecklich aus“, quakt sie. „Honza, bitte, komm her, oder ich dreh durch.“
„Ich bin vor zwei Stunden dort gewesen.“
„Und war er wach?“
„Hm.“
„Hat er was gesagt?“
„Er war eigentlich ganz ruhig.“
Aus dem Hörer dringt das endlose Rülpsen meines Vaters.
„Komm her, ich weiß nicht, was ich machen soll.“
„Bleib sitzen und rede mit ihm.“
„Ich fall gleich in Ohnmacht.“
„Fällst du nicht. Geh spazieren, trink einen Kaffee und rede mit ihm.“
„Na gut.“
Ich gieße mir nach. Moldawischer Cognac hat einen spürbar komplizierteren Abgang als früher sein Geschmacksgenosse, der grusinische. Man riecht Wagenladungen angeschimmelter Rosinen, ranzige Walnüsse, Karbol, den salzigen Staub des Orients. Er heißt
Kijaževskij dub
, das Etikett schmücken eine Eiche und fünf goldene Sterne.
Das Telefon, eine unbekannte Nummer: „Thomayer-Klinik, Plemeňáková, Entschuldigung, sind Sie der Bruder von Frau -kšová? Die Dame ist uns hier kollabiert, könnten Sie sie bitte abholen kommen?“
Ich fahre.
„Ihre Schwester ist im Schwesternzimmer“, sagt die Krankenschwester, „am Ende vom Gang nach links.“
Sie hockt am Fenster, hält einen Becher mit Automatenkaffee in der Hand und ist graugelb.
„Ich kann ihn nicht ansehen“, sagt sie.
„Was kommst du dann dauernd her?! Ruh dich aus, morgen bin ich hier. Keine Angst, die kriegen den schon durch.“
„Das glaub ich nicht“, flennt sie.
Ich gebe ihr ein Taschentuch.
„Geh und sieh ihn dir an“, schluchzt sie, „ich halte den Anblick nicht aus.“
Ein grundlegender Trick von Frauen, die Verantwortung auf ein beliebiges Männchen zu übertragen, das gerade greifbar ist.
Ich betrachte ihn. Es ist nichts Unerträgliches an ihm. Ich kann mich nicht erinnern, wann er mal so zufrieden geguckt hat. Der hinkende Kerl mit der speckigen Mütze, der am Hammerteich immer Igel beobachtet hat, steckt allerdings nicht mehr in diesem Körper.
Ich schaue und stehe da, meine Rolle hier. Dann bringe ich meine Schwester mit dem Taxi nach Strašnice. Ihrer mit pistaziengrünem Spitzenbesatz geschmückten Brust entringen sich laute, schmatzende Schluchzer. Unser Fahrer mustert mich abschätzig im Rückspiegel.
7 AM NÄCHSTEN TAG TEILT MIR DER ARZT MIT DEM SORGFÄLTIG RASIERTEN ANTLITZ MIT, DASS SIE MEINEN VATER VON DER INTENSIVSTATION AUF DIE ANÄSTHESIOLOGIE VERLEGT HABEN. Das klingt besser als Intensivstation, für meinen Vater ist das allerdings kein großer Fortschritt. Bei der Länge des Eingriffs ist es zu Funktionsstörungen gekommen. Er ist ihnen ins Koma gefallen und wacht nicht wieder auf. Mehr wird mir dazu der Abteilungsleiter, Dr. Puchvaldek, sagen.
Ich irre durch den Komplex aus Gebäuden. Es wimmelt von vitalen Laborantinnen und hektischen, geschminkten Schwestern, ab und zu schwebt ein Arzt vorbei, im Gesicht Distanz zu allem und jedem. Ich weiche miefigen Bettlägerigen in Rollstühlen aus, die von braun gebrannten, verkaterten jungen Männern geschoben werden.
Die Anästhesiologie ist ein blank gescheuerter, grauer Raum, an dessen einer Wand eine Reihe Katafalke steht. In jedem liegt wie in Watte gepackt ein farbloser Taucher, in den von allen Seiten über Drainagen und Atemröhrchen Saft hineinströmt.
Papa ruht auf dem Bett am Rand. Aus seiner Nase kommen leichte, durchsichtige Schläuche. Fadenartig, fiepend saugt er Luft an. Dr. Puchvaldek, der an meiner Seite steht, informiert mich diskret, dass es hier nun möglich sei, den Liegenden anzusprechen. Der Patient nehme das zwar nicht wahr, zumindest denken wir, dass es so ist. Es gebe aber noch viele Fragen, auf die die Wissenschaft keine zufriedenstellenden Antworten geben kann. Solange die Möglichkeit bestehe, dass einige Rezeptoren nach wie vor in Funktion sind, sei es unsere Pflicht zu versuchen, diese zu stimulieren. Die geringste Anregung könne eine Verbesserung bedeuten. Eine Ansprache des Patienten sei also durchaus angezeigt. Auf das Thema komme es nicht an, ich könne über vollkommen banale
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