Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
breit.
Wir betrachten die Sonnenbälle auf der Innenseite der Augenlider. Horchen, wie Rulpo im Sumpf winselt.
12 NACH SEINER RÜCKKEHR NEHMEN WIR WIEDER PLATZ UND FAHREN WEITER. Wir kämpfen uns durch eine reglose Schicht aus Wasserkraut, hinter unserem Heck explodieren Sumpfgasminen. Der schwefelige Mief greift uns mit kalter Hand direkt in die Därme. Der Kanal wird immer schmaler und schmaler, bis er von einem undurchdringlichen Pfropfen aus Schlamm, Baumstümpfen, Knochen, Steinen und morschen Reusen komplett verstopft ist. Wir laden das Boot aus, zerren es weiter übers Festland. Als Belohnung winkt uns ein gerader Abschnitt ungewöhnlich dunklen Wassers, in den unser Graben mündet.
Wir paddeln langsam und leise. Das Wasser hat die Farbe von Jodtinktur. Von vorbeitreibenden Blättern aus beobachten uns erstaunt fette Frösche, die auf verbissen kämpfenden Schnaken herumkatschen. Unter dem Boot schlängelt sich hier und da ein langer Körper durch – ein Aal, ein Neunauge, eine Schlange, wer weiß. Uns umgibt ein undurchdringliches Gemisch aus Zwitschern, Summen, Knistern, Heulen, Pfeifen, Krächzen und Quaken. Der Duft von Fäulnis und der wild gewordene Gestank des Wachsens. Das Rasen der Atome, der Zerfall der Mole küle. Vom Ufer aus strecken sich Farne nach uns aus. Sie bewegen sich wie lebendig. In den Schilfgürteln verschwimmen die allein durch Hirntätigkeit hervorgerufenen Bilder und lösen sich auf.
Die berauschende Macht der Minze potenziert die Stille noch. Die aromatischen ätherischen Öle schlagen uns allmählich auf den Verstand.
„Wenn erst der Freitag dir zu Füßen liegt, wird deine Seele vom Gram besiegt“, sagt Murgy.
„Ich hab zwar keine Seele, aber ’ne durstige Kehle“, sage ich.
„’ne durstige Kehle gehört zur Seele“, sagt Rulpo.
Eine Schneise in der Vegetation öffnet uns den Blick auf eine dunstige Weide. Ein Bulle versucht eine Kuh zu besteigen, die macht einen Satz zur Seite, läuft ein paar Schritte, der Bulle hinterher. Unter seinem Bauch ragt eine ellenlange, hellrote Mohrrübe hervor. Ein Stück weiter sind hinter einem Gebüsch zwei Typen dabei, eine Frau zu vergewaltigen. Der Stehende hält die dünnen weißen Beinchen fest. Es könnten allerdings auch Wilderer sein, die eine Ziege ausweiden.
„Ich kenn einen, der hat im Kopf einen Psychopenis“, erzählt Rulpo den vorbeiziehenden Farnen. „Ihr kennt den auch, der läuft in Vinohrady in Hare-Krishna-Klamotten rum und mit einem Turban auf dem Kopf. Der kann seine Zunge zusammenrollen und damit genau an die Stelle im Nasenrachenraum tippen, wo dem sein Penis anfängt. Der sondert Tropfen von einem Unsterblichkeitshormon ab, das er Amrit nennt.“
„Was hat der davon?“, fragen die Farne durch Murgys Mund.
„Ab und zu kauft ihm abends jemand was zu essen, damit er endlich Ruhe gibt.“
„Warum was zu essen?“
„Weil er nicht trinkt.“
„Also kein Finne“, sagt Murgy.
„Nein, das ist der Ingenieur Majer, den sieht man normalerweise in der Gegend vom
Akropolis
.“
„Warum Finne?“, frage ich.
„Weil dort alle trinken. Denen ihr Nationalgetränk stellst du her, indem du
Finlandia
in so ’ne PET-Flasche gießt und ’n Haufen Lakritze da reinsteckst, das kennst du doch, Lakritze? Die Flasche machst du zu, packst sie in die Waschmaschine, lässt das Dreißig-Grad-Programm laufen und dann stellst du das kühl.“
„Wai nott“, meint Rulpo.
„Das sagt dir gleich der erste Schluck, wai nott“, antwortet Murgy.
Unsere kontemplative Stimmung wird vom Tuckern eines Motors gestört. Wir sehen uns um, was das sein könnte. Durch den Kanal kommt uns etwas entgegen. Etwas, das an einen finster dreinschauenden Ritterhelm erinnert. Einen scharrenden Roboter. Eine laufende Eisentarantel. Die Schultern heben und senken sich. Das Ding kommt auf uns zu. Wird immer größer. Ein Lärm wie in einer Mühle. Es knirscht und rumst. Rauch steigt auf. Es quetscht sich durch den Kanal, in den es fast nicht hineinpasst. Die Bäume zittern und fallen.
„Raus!“, befiehlt Murgy.
Wir schmeißen das Gepäck ans Ufer, zerren die Barke aus dem Wasser.
An uns vorbei wälzt sich mit Getöse ein Schlammbagger. Er reißt den Graben auf und als Zugabe hackt er mit sirrenden Kettensägen alles kurz und klein, was in Reichweite wächst. Am Bug des unbeschreiblich bizarren Mechanismus, in einer plump zusammengeschweißten Bude umklammert ein verschmierter, großnasiger Mann mit selbstgestrickter Pudelmütze die
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