Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
Sturm im Wasserglas, und wie er immer noch wirkt. Zumindest hier bei uns, im Osten. Die Zukunft, die hat uns seit jeher gefehlt. Seltsam – das hat es früher nicht gegeben, dass ein Dreißigjähriger und ein Fünfzigjähriger sich denselben Ohrwurm teilen. Obwohl, warum nicht, Rulpo kennt das von
Rádio 1
, mich versetzt der Hippocampus in die Zeit, als ich total euphorisch war, und Murgy ist ein zeitloser Irrer, der wird noch mit siebzig so sein.
„Unlimited edi-tion with an unlimited supplaaai
, /
that was the only reaaa-son
/
we all had to say goodbye“
, phrasiert er, als würde er Messer schleifen.
„An unlimited supplaaai…“
„Ih-äm-ai!“
„And there is no reason uaaai…“
„Ih-äm-ai!“
„I tell you it was all a fraaaim…“
„Ih-äm-ai!“
„Aauu! Verdammter Mist, aua! Huh!“
Wir starren Murgy an, der sich das T-Shirt wieder vom Leib reißt, dazu seine kurze Hose und die Unterhose, seine Mütze lässt er auf. Er wälzt sich über den Rand des Bootes, stößt sich ab, schwimmt ein paar Züge. Worauf er zwischen den Teichrosen hockt wie ein Wassermann, zittert und uns mit schuldbewusster Miene anblickt.
„Sorry.“ Er entschuldigt sich bei der Natur und schickt ein gewaltiges Blubbern hinterher. „Sss…sorry.“
„Wie schnell zeigen sich bei Cholera Symptome?“, fragt Rulpo besorgt vom Boot aus.
„Nach einer Woche, eher nicht“, klappere ich mit den Zähnen, bis zum Kinn in fauligen Pflanzen, denn auch ich habe mich mittlerweile für die Tauchstation entschieden.
„Hm, huu“, blökt Murgy. „Vergiss es, Alter, tsss, n-n-normalerweise ein paar Stunden bis T-t-taage. Pfff.“
„Und jetzt noch die Augen aufreißen“, betteln wir.
Murgy macht inmitten der blühenden Teichrosen Glubschaugen und verzieht den Mund.
Rulpo feixt, bis die Barke dröhnt.
Ich reiße mir einen Blutegel von der Schulter, drei andere haben sich mir am Bauch festgesaugt.
11 WIR RUDERN, SCHLUCKEN TABLETTEN, SCHWITZEN. An die Teichrosen schließt ein matt glänzender Teppich aus Seerosen an. Der Bewuchs schließt sich hinter unserem Heck sofort wieder, was den intensiven Eindruck macht, dass wir uns überhaupt nicht fortbewegen. Das Ufer, das wir erreichen wollen, scheint uns ein welliger Streifen in der Ferne zu sein. Trotzdem schaffen wir’s, nach langem Ächzen und Plätschern kommen wir dort an.
Direkt vor uns gähnt die Mündung eines verwahrlosten Kanals. Hier ankern wir, lassen uns auf eine nasse Wiese fallen und gönnen uns den Luxus einer kurzen Ermattung.
„Das war der Mati?a-See“, meditiert Rulpo hinter der Landkarte hervor. „Auf den Merhei, huuu, kommen wir erst noch.“
„Ich glaube, das sind die Melonen gewesen“, verkündet Murgy himmelwärts.
Die Melonen hatten wir einen Tag zuvor von einem Fischer von hier im Tausch gegen den Hecht bekommen; interessanterweise hatte er zwei übrig, ein Hecht hat ihm aber noch gefehlt.
Rulpo erhebt sich nach seinen Worten, verschwindet im Schilf, unterwegs wirft er seine Klamotten von sich.
Im Liegen begleiten wir ihn mit Blicken, sprich, wir sehen den Rotschopf barfuß kopfüber in den Sumpf rennen.
„Als ich fünf war“, erzählt Murgy mit leiser Stimme, „da hat mir mein Vater aus Holz ein großes Motorrad gebaut, rot lackiert, mit einem schönen silbernen Motor. Das hatte den Fehler, dass es nicht fahren konnte, die Räder waren nicht zum Drehen, also hab ich nur drauf gesessen. Meine Mutter hat mich dreißig Mal am Tag durchs Fenster gefragt: Wo fährst du denn hin, Leoš? Das hat mich so genervt, dass ich’s gelassen hab. Mein Vater ist stinksauer gewesen, dass ich sein Motorrad nicht zu schätzen weiß, also hat er’s kleingehackt und verbrannt.“
„Ich hatte ’ne Harley“, sage ich, „die hat ein Kumpel bei mir gelassen, bevor er nach Amerika gegangen ist. Die ist auch nicht gefahren, und ich hab auch nur drauf gesessen, ich hatte die in so einem Erker stehen mit Fenstern zur Straße. Ich hab da gehockt und zugeguckt, wie unter mir die Busse vorbeifahren. Das ist eigentlich ein großes Schaukelpferd für Jungs gewesen.“
„Original?“
„Mhm.“
„Wo hat dein Kumpel die denn hergehabt?“
„Sein Vater hat die in den Fünfzigern auf dem Schwarzmarkt gegen Schweinefleischkonserven eingetauscht.“
„Also ist das so ’ne alte Kraxe gewesen, oder?“
„Klar, ’n altes rostiges Ding.“
„Bremsen!“, brüllt mich Murgy an.
„Au“, sage ich und schmiere eine vollgesogene Bremse auf meinem Schenkel
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