Regina schafft es doch
Müdigkeit über sie gekommen. Eine müde Hoffnungslosigkeit. Wer wußte denn, ob Gert überhaupt antworten würde? Er hatte sie vielleicht ganz aus seinem Herzen gestrichen, aus seinem Leben – kein Wunder, so wie sie sich benommen hatte!
Alles, alles hatte sie nur sich selbst zu verdanken. Ihrer eigenen selbstgefälligen Bockigkeit. Es geschah ihr recht. Ja – so bitter es auch war – , es geschah ihr recht.
Leo Bielec kam mit seinem Wagen, um sie abzuholen. Und unterwegs schwatzte und fuhrwerkte Katrin herum und war so aufgeregt, wie Regina sie noch nie erlebt hatte. Sie mußte lächeln. Ausgerechnet Katrin. Sie hatte einmal so vernünftig darüber geredet, daß man zurückhaltend sein müsse und nicht zu offen und geradezu!
Das Haus, in dem Leo mit seiner Mutter wohnte, war ein großes, altmodisches Mietshaus vom Ende des vorigen Jahrhunderts, mit viel überflüssigem Krimskrams und mit wunderbar viel Platz. Sie besaßen eine „hochherrschaftliche“ Siebenzimmerwohnung, von der sie zwei Zimmer vermieteten. Für sich hatten sie ein großes, behagliches Wohnzimmer, Frau Bielecs kleinen Ecksalon, jeder sein Schlafzimmer und ein Zimmer für die treue Resi, die Haushälterin.
Resi empfing sie an der Wohnungstür, war sanft, mütterlich und rührend. Im Wohnzimmer blieben sie einen Augenblick allein. Katrins Augen glänzten und funkelten, sie war die ganze Zeit ganz ungewohnt zapplig, saß keinen Augenblick still, sprang auf, um sich ein Bild an der Wand zu betrachten, dann wieder an einer Fensterpflanze ein welkes Blatt abzurupfen. Was hatte sie nur?
Dann hörte man Schritte auf dem Korridor und Leos Stimme, er sprach wohl mit einem neuen Gast.
„Ja, ist es nicht lustig, daß Sie heute Landsleute hier treffen – bitte sehr – nein, nach Ihnen!“
Im selben Augenblick wurde eine andere Tür leise geöffnet und wieder geschlossen. Es war Katrin, die mit einem Male wie ein Geist durch die Wand verschwunden war.
Regina war aufgestanden. Sie sah nach dem Herrn, der ins Zimmer trat. Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte keinen Laut über die Lippen. Fassungslos tastete sie nach einem Halt.
Und er – er blieb gleich an der Tür stehen, merkte gar nicht, daß hinter ihm die Klinke einschnappte.
War das – sah er – , träumte er? Er sah Regina überall – auf der Straße, in jeder Straßenbahn, in jedem Zug – , immer sah er Regina.
Aber dann durchzuckte ihn eine Erinnerung: Regina und Wien. Regina und ihr Wunschtraum. War es trotzdem…
Sie kam näher. Ein blasses Gesichtchen, zwei dunkle, übergroße Augen. Da blieb sie stehen.
„Nein…“, flüsterte sie heiser. „Nein, nein! So etwas kommt nicht vor! So etwas kommt in dieser Welt nicht vor!“
Und dann stürzte sie auf ihn zu.
Sie saßen noch immer allein im Zimmer. Niemand störte sie. Gert saß in einem Sessel und vor ihm auf einem Kissen auf dem Fußboden Regina.
Jetzt endlich konnte Regina weinen. Ein halbes Jahr voll Leid, Ungewißheit, Enttäuschungen und Selbstvorwürfen spülten die Tränen weg und legten den Boden frei für ein neues Glück. Wo sollten sie anfangen? Es gab soviel zu fragen, zu erzählen…
„Wann bist du denn nach Wien gekommen, Gert?“
„Vor drei Wochen – ich war in der Zwischenzeit noch in Paris, aber ich hatte das Gefühl, daß alles weggeworfene Zeit wäre. Ich habe nicht ordentlich arbeiten können, habe mich auf nichts so richtig einstellen können…“
„Oh, Gert – das ist alles meine Schuld!“
„Deine Schuld, Regina? Meine Schuld war es, ich mit dieser dämlichen Lüge habe…“
„Ach Gert! Du verstehst ja nicht, ach, du weißt ja nicht… ich habe dir so wahnsinnig unrecht getan.“
Regina setzte sich ihm gegenüber in den anderen Sessel. Ihre Tränen hatten aufgehört, aber immer noch zeigte ihr Gesicht den inneren Aufruhr.
Da hörten sie leichte Schritte im Flur. Und da stand Katrin mit einem übervollen Tablett in der Tür.
„Bitte, hier ist der Tee! – Guten Tag, Gert, ja, ich darf doch wohl Gert sagen? Wie nett, Sie zu sehen! Na, ich will jetzt nicht stören. Wir kommen ausgezeichnet ohne euch aus. Ich wollte euch nur den Tee bringen, und dann ist auch ein Brief für Gert gekommen, bitte.“
Und schon war sie wieder weg. Lächelnd und strahlend.
Regina stand mechanisch auf und goß Tee ein. Der Brief lag neben der Teekanne. Sie warf einen Blick darauf – und mit einem Male erkannte sie den Brief und lächelte.
„Gert, hier kommt die richtige Hilfe für mich. Bitte –
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