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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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weckten diese Schreie mehr Arger als Mitleid ... und die Befürchtung, sie könnten etwas viel Unangenehmeres anlocken als die große Katze oder den Kojoten mit den menschlichen Fingern. »Susi?« Die erschrockene Stimme von Kim Geller aus dem Haus. Dann schrie sie auch, und das Geräusch schien wie eine scharfe, kreisende Klinge aus dem mondhellen Halbdunkel zu kommen. »Suuuuu-siiiii! Suuuuu-siiiiii!« »Seien Sie still!« rief Johnny. »Herrgott, Kim, SEIEN SIE STILL!«
    Erstaunlicherweise verstummte sie, aber das Mädchen hörte nicht auf und kreischte wie eine fehlbesetzte Julia im fünften Akt.
    »Großer Gott«, murmelte Audrey. Sie preßte die Handflächen auf die Ohren und strich mit den Fingern durch ihr Haar.
    »Bee«, sagte Brad durch den Zaun, »bring dieses Küken zum Schweigen. Mir ist gleich, wie du das machst.« »JIM!« kreischte Susi. »OHHHH GOOOOTT, JIM! OH GOOOOTT NEIN! OH-«
    Ein Klatschen. Die Schreie verstummten fast augenblicklich. Dann:
    »Sie können meine Tochter nicht schlagen! Sie können meine Tochter nicht schlagen, Sie Schlampe, und mir ist völlig egal, was für seltsame Vorstellungen Sie von ... von Gleichberechtigung bekommen haben! Sie fette schwarze
    Schlampe!«
    »Ich krieg 'nen Affen«, sagte Cynthia. Sie strich sich selbst durch das zweifarbige Haar und kniff die Augen zu wie ein Kind, das die letzten Minuten eines gruseligen Films nicht sehen möchte.
    Brad ließ die Augen offen, hielt den Atem an und wartete darauf, daß Bee explodieren würde. Statt dessen beachtete Bee die Frau gar nicht und rief leise durch den Zaun: »Hievt ihr seinen Leichnam rüber, Bradley?« Sie schien überaus gefaßt zu sein, und dafür war ihr Brad überaus dankbar.
    »Ja. Du und seine Mutter und sein Bruder solltet ihn auffangen, wenn es soweit ist.«
    »Machen wir.« Immer noch so cool wie eine frisch aus dem Steinguttopf geholte Gurke.
    »Kim?« rief Brad durch den Lattenzaun. »Mrs. Geller? Warum gehen Sie nicht wieder ins Haus, Ma'am?« »Ja!« sagte Kim liebenswürdig. »Ich finde, das ist eine gute Idee. Wir gehen zurück ins Haus, Susi, kommst du? Wenn wir uns etwas kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt haben, wird es uns gleich besser gehen.« Schritte waren zu hören. Das Schniefen wurde leiser, und das war gut. Dann fingen die Kojoten wieder an zu
    heulen, und das war schlecht. Brad sah über die Schulter und erblickte im finsteren Dickicht des Wäldchens silberne Splitter in Bewegung. Augen. »Wir müssen uns beeilen«, sagte Cynthia. »Sie wissen nicht mal die Hälfte«, sagte Audrey. Brad dachte: Genau das hab ich befürchtet. Er drehte sich um und ergriff Jim Reeds Schultern. Ganz schwach konnte er Shampoo und Aftershave riechen, die der Junge heute morgen benutzt hatte. Wahrscheinlich hatte er dabei an die Mädchen gedacht. Johnny warf einen nervösen Blick hinter sich - zu den silbernen Lichtern in Bewegung, vermutete Brad -, dann glitt er an Jim Reeds Leichnam hinab, bis er einen Arm um die Taille des toten Jungen gelegt hatte und mit der anderen seinen Hintern abstützte. Audrey und Cynthia nahmen seine Beine. »Fertig?« fragte Johnny. Sie nickten.
    »Dann auf drei. Eins ... zwei... drei.«
    Sie hoben den Leichnam wie ein Quartett, das die Mannschaftsbank hochhebt. Einen gräßlichen Augenblick lang dachte Brad, die Wirbel seines Rückgrats, das in den letzten zehn Jahren einen unanständig dicken Bauch tragen mußte, würden sich verklemmen. Dann hatten sie Jims Leichnam auf den Zaun gehievt. Die Arme des toten Jungen hingen auf beiden Seiten herab, die Haltung eines Zirkusakrobaten, der auf dem Höhepunkt einer unglaublichen Darbietung zum Applaus auffordert. Mondlicht fiel auf seine Handflächen.
    Johnny, der neben Brad stand, hörte sich an wie kurz vor einem Herzinfarkt. Jims Kopf hing schlaff in den Nacken. Ein Tropfen halbgeronnenen Blutes fiel herunter und landete auf Brads Wange. Aus einem irren Grund mußte er an Minzgelee denken, und sein Magen krampfte sich zusammen wie eine Hand in einem geschmeidigen Handschuh. »Helft uns!« keuchte Cynthia. »Um Gottes willen, jemand soll -«
    Hände tauchten auf, verharrten einen Augenblick über den stumpfen Zaunlatten und lösten sich in Finger auf, die Jims Hemd und den Bund seiner Shorts ergriffen. Als Brad gerade überzeugt war, daß er die Leiche keine Sekunde mehr halten konnte (bis zu diesem Augenblick hatte er nie richtig begriffen gehabt, was der Ausdruck totes Gewicht bedeutete), wurde sie von ihm weggezogen. Ein

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