Regulator: Roman
reagierte (und nicht das Herz, wie die Dichter immer behaupteten). Plötzlich wurde ihm alles erst richtig bewußt. Cary Ripton würde nächsten Sommer nicht als Shortstop der Wentworth Hawks spielen; Cary Ripton würde heute abend nicht zur Hintertür reinstürmen und fragen, was es zum Essen gab. Cary Ripton war nach Nimmer-Nimmerland geflogen und hatte seinen Schatten zurückgelassen. Jetzt war er einer der Verlorenen Jungs.
Wieder grollte Donner, diesmal so nahe und krachend, daß Peter zusammenzuckte. »Hören Sie«, sagte er zu Tom. »Ich habe eine große Plastikplane in der Garage. Fast so groß wie eine Autoabdeckplane. Wenn ich sie hole, würden Sie dann mit mir die Straße runtergehen und mir helfen, ihn zuzudecken?«
»Das gefällt Officer Entragian vielleicht nicht«, sagte der alte Mann.
»Scheiß auf Officer Entragian, er ist ebensowenig ein Cop wie ich«, sagte Peter. »Sie haben seinen Arsch letztes Jahr wegen Korruption vor die Tür gesetzt.« »Aber die anderen Polizisten, wenn die kommen -« »Die sind mir auch egal«, sagte Peter. Er weinte nicht gerade, aber seine Stimme klang belegt und nicht mehr ganz fest. »Er war ein netter Junge, ein wirklich reizender Junge, und irgend ein Drogenkurier hat ihn vom Fahrrad geschossen wie in einem Film von John Ford einen Indianer vom Pferd. Es wird regnen, und er wird tropfnaß werden. Ich würde seiner Mutter gerne sagen, daß ich getan habe, was ich konnte. Also was ist, helfen Sie mir, oder nicht?« »Nun, wenn Sie es so sagen«, antwortete Tom. Er klopfte Peter auf die Schulter. »Kommen Sie, Lehrer, machen wir es.«
»Gut so.«
5
Kim Geller verschlief die ganze Sache. Sie schlief immer noch auf der Überwurfdecke ihres Betts, als Susi und Debbie ROSS - die Rothaarige, von der Cary Ripton so begeistert gewesen war - in ihr Schlafzimmer gestürmt kamen und sie wachrüttelten. Sie richtete sich benommen auf, fast als ob sie verkatert wäre (an knallheißen Tagen wie diesem zu schlafen, war fast immer ein Fehler, aber manchmal konnte man einfach nicht anders), und versuchte den Worten der Mädchen zu folgen, verlor aber fast auf der Stelle den Faden. Sie schienen ihr mitteilen zu wollen, daß jemand erschossen worden war, in der Poplar Street erschossen, und das war selbstverständlich völlig ausgeschlossen. Aber als sie ans Fenster ging, ließ sich nicht mehr leugnen, daß etwas geschehen war. Die Reed-Zwillinge und Cammie, ihre Mutter, standen am Ende hrer Einfahrt. Der Waschlappen und das Miststück, in höflicheren Kreisen als die Sodersons bekannt, standen am Ende des Blocks mitten auf der Straße ... aber jetzt zog Marielle Gary in Richtung ihres Hauses, und er schien mitzukommen. Hinter ihnen standen die Josephsons zusammen auf dem Bürgersteig. Und auf der anderen Seite sah sie Peter Jackson und den alten Billingsley, die ein großes Stück blaues Plastik zwischen sich trugen, aus Jacksons Garage kommen. Es kam Wind auf, und die Plastikplane flatterte hin und her. Praktisch alle waren auf der Straße. Jedenfalls alle, die zu Hause waren. Von hier aus konnte man nicht erkennen, was sie alle angafften. Die Ecke des Hauses versperrte die Sicht den Block hinunter zur Kreuzung. Kimberley Geller drehte sich wieder zu den Mädchen um und gab sich größte Mühe, die Spinnweben aus ihrem Kopf zu bekommen. Die Mädchen tanzten von einem Fuß auf den anderen, als müßten sie aufs Klo; Debbie, sah sie, spreizte und schloß die Finger. Beide waren blaß und aufgeregt, eine Kombination, die Kim nicht gerade ruhiger stimmte. Aber die Vorstellung, daß jemand getötet worden war... da mußten sie sich irren ... oder nicht? »Und jetzt sagt mir, was passiert ist«, verlangte sie. »Ohne Flachs.«
»Jemand hat Cary Ripton erschossen, das haben wir dir doch gesagt!« rief Susi ungeduldig, als wäre ihre Mutter der dümmste Mensch auf der Welt... und in diesem Moment hatte Kim selbst den Eindruck, als wäre es so. »Komm schon, Mom! Wir können zusehen, wie die Polizei kommt!«
»Ich will ihn noch mal sehen, bevor ihn jemand zudeckt!« kreischte Debbie plötzlich. Sie drehte sich um und rannte die Treppe hinunter. Susi blieb noch einen Augenblick zweifelnd stehen - sie sah sogar fast angewidert aus -, dann folgte sie ihrer Freundin.
»Komm schon, Mom!« rief sie über die Schulter, und dann lief sie polternd die Treppe hinunter, die Rosenkönigin der High School in diesem Frühjahr, so anmutig wie ein Wasserbüffel, so daß die Fenster klirrten und die
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