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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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beschleunigen, ihre Motoren schnurren mit einer summenden, zyklischen Ebenmäßigkeit. In der linken Seite des rosa Fahrzeugs tut sich irisförmig ein großes Loch auf. Und oben auf dem schwarzen Laster, der aussieht wie ein Leichenwagen, der versucht, sich in eine Lokomotive zu verwandeln, gleitet eine Seite des Pilzes zurück und läßt zwei Gestalten mit Flinten erkennen. Bei einer handelt es sich um einen bärtigen Menschen. Er scheint, genau wie der Außerirdische, der den blauen Lieferwagen gefahren hat, Orden und Abzeichen einer Bürgerkriegsuniform zu tragen. Das Ding neben ihm trägt eine völlig andersartige Uniform: schwarz, mit hochgeschlossenem Kragen und silbernen Knöpfen. Die Uniform hat etwas Nazihaftes an sich wie der schwarze Lieferwagen, aber nicht das erweckt Johnnys Aufmerksamkeit und lahmt seine Stimmbänder so sehr, daß er zuerst keinen Warnschrei ausstoßen kann. Über dem hohen Kragen scheint nur Dunkelheit zu sein. Er hat kein Gesicht, denkt Johnny in dem Augenblick, bevor die Wesen in dem rosaroten und pechschwarzen Lie -ferwagen das Feuer eröffnen. Er hat kein Gesicht, das Ding hat überhaupt kein Gesicht.
    Johnny Marinville, der alles sieht, überlegt sich, daß er gestorben sein könnte; dies könnte die Hölle sein.
    Brief von Audrey Wyler (Wentworth, Ohio) an Janice Conroy (Plainview, New York), datiert 18. August 1994:
    Liebe Janice,
    vielen herzlichen Dank für Deinen Anruf. Natürlich auch für die Kondolenzkarte, aber Du kannst Dir nicht vorstellen, wie gut es getan hat, gestern abend Deine Stimme zu hören - wie ein kühler Schluck Wasser an einem heißen Tag. Vielleicht meine ich auch, wie eine Stimme der Vernunft, wenn man in der Klapsmühle sitzt. Hat irgendwas von dem, was ich am Telefon gesagt habe, für Dich einen Sinn ergeben? Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Ich bin total von der Rolle - »Scheiß auf diese Scheiße«, wie wir damals am College zu sagen pflegten -, aber erst seit einigen Tagen, und obwohl Herb eingesprungen ist und hilft, wo er kann, kommt mir die Welt wie ein einziges großes Durcheinander vor. Angefangen hat alles, als Joe Calabrese, Bills Freund, hier angerufen und gesagt hat, daß mein Bruder, seine Frau und die beiden ältesten Kinder aus einem vorbeifahrenden Auto heraus mit Schrotflinten erschossen wurden. Der Mann, den ich nie persönlich kennengelernt habe, hat geweint, war schwer zu verstehen und viel zu erschüttert, um diplomatisch zu sein. Er sagte immer wieder, daß er sich so sehr schämte, und am Ende mußte ich ihn trösten, während ich die ganze Zeit gedacht habe: »Das muß ein Irrtum sein, Bill kann nicht tot sein, es war abgemacht, daß mein Bruder so lange auf der Welt ist, wie ich ihn brauche.« Ich wache immer noch nachts auf und denke: »Nicht Bill, es ist nur ein Irrtum, es kann nicht Bill sein.« Ich kann mich nur an ein Ereignis in meiner Kindheit erinnern, das ähnlich verrückt war, als alle gleichzeitig die Grippe bekamen. Herb und ich sind nach San Jose geflogen, um Seth abzuholen, dann flogen wir im selben Flugzeug wie die Leichen nach Toledo zurück. Sie verstauen sie im Frachtraum, hast du das gewußt? Ich auch nicht. Und wollte es auch nicht wissen.
    Die Beerdigung war eines der schrecklichsten Erlebnisse meines Lebens - wahrscheinlich das schrecklichste. Die vier Särge - mein Bruder, meine Schwägerin, meine Nichte und mein Neffe - standen in einer Reihe, erst in der Kirche, dann auf dem Friedhof, wo sie auf diesen gräßlichen Chromgestellen über den offenen Gräbern aufgebahrt waren. Möchtest Du etwas vollkommen Verrücktes hören? Während der ganzen Trauerfeier mußte ich an meine Flitterwochen auf Jamaika denken. Sie haben Bremsschwellen auf der Straße, die sie schlafende Polizisten nennen. Und aus irgendeinem Grund habe ich die Särge auf einmal so gesehen - als schlafende Polizisten. Nun, ich hab Dir ja gesagt, daß ich verrückt bin, oder nicht? Ohios Valiumkönigin des Jahres 1994, das bin ich.
    Der Trauergottesdienst in der Kirche war überfüllt - Bill und June hatten eine Menge Freunde -, und alle haben geweint. Außer dem armen kleinen Seth natürlich, der es nicht kann. Oder nicht will. Wer weiß? Er saß einfach mit zwei seiner Spielsachen zwischen mir und Herb - einem rosa Lieferwagen, den er »Dweem Fwoatah« nennt, und der dazugehörigen Action-Figur, eine sexy kleine Rothaarige namens Cassandra Styles. Die Spielsachen gehören zu einer Fernsehserie mit dem Titel MotoKops 2200, und die

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